„Kai Dieckmann, ausziehen!“

Die Sache da draußen ist wirklich ernst: Andreas Neumeisters neuer Band, „Angela Davis löscht ihre Website“

„Angela Davis löscht ihre Website“. Wer? Davis, eine Politikone der 70er-Jahre, ist nahezu vergessen, Plakate der US-Amerikanerin mit ihrer Afrofrisur zieren schon lange keine WG-Küchen mehr. Warum löscht sie ihre Website? Der Münchner Autor Andreas Neumeister liebt Informationen, die mehr sind als die Wiedergabe von Fakten, die eher verhüllte Fragen darstellen. In seinem schmalen Bändchen versammelt er Texte, die um die Medien kreisen. Es sind Reflexionen, die in der harmlosen grafischen Gestalt von Gedichten daherkommen.

Die Aufzählung gehört zu den genuinen Stilmitteln Neumeisters. Es finden sich Listen von Feuerwaffen, halbseidenen Mediengrößen, Fernsehsendern. Ein Verfahren mit großer Affinität zur Banalität, gewiss. Aber Neumeister fehlt jeder Impetus, dass dem Bösen „da draußen“ nur ein Name gegeben werden muss, um es zu bannen. Er hat Spaß am kleinen Unterschied zwischen den Wörtern, auch Spaß. Neben den strengen Reihungen gibt es auch fiese Pointen und deftige Formulierungen. Er bevorzugt dafür kurze Texte, manchmal stehen nur zwei Wörter auf einer Seite.

Hier hat der 1959 geborene Autor ebenso von seinen Veröffentlichungen im Internet wie vom grafischen Purismus der konkreten Poesie gelernt. Auf eine Einleitung verzichtet er, im Buch aber findet sich eine Art Bedienungsanleitung: „täuschend echt / täuschend falsch / zwei Bilder in Echtzeit / drei Bilder in Falschzeit / täuschend echt wirkt einleuchtend falsch / täuschend falsch wirkt einleuchtend echt / Original Oberkrainer aus Oberkrain / täuschend echt wirkt einleuchtend falsch ist aber echt“. Geloopter deutscher Idealismus, aber ziemlich flott, sozusagen eine Rolf-Dieter-Brinkmann-Fassung von Hegel und Adorno. Nicht immer gibt sich Neumeister so spielerisch, etwa wenn er den schlimmsten Fernsehtag aller Zeiten kommentiert: „breaking news / news alerts / news flashs / aber erst wenn schließlich auch die Werbeblöcke gestrichen werden, ist die Sache da draußen wirklich ernst“.

Längst haben sich auch Internetphrasen in die Sprache hineingefressen, überall wird angeklickt und die Verbindung hergestellt. Neumeister zeigt den direkten Übergang von sprachlicher Banalität zu inhaltlicher Tristesse. „Kai Dieckmann, ausziehen! / click here!“ Nie war Interaktion so langweilig wie heute. – Neumeister legt also ein literarisches Medienhandbuch vor, ein Offlinebändchen, dessen Gehalt nicht in Gigabytes zu messen ist. Seine Fragen nutzen geschickt das Überraschungspotenzial des Naiven, gekonnt sekundiert dabei sein umgangssprachlicher, fast schnoddriger Stil. Neumeister eröffnet so einen Raum, den die Medientheorie kaum noch erzeugt: den der Neugier. Seine Medienmiszellen sind streng und verspielt, original und täuschend echt falsch. Konkrete Poplyrik. MARTIN ZEYN

Andreas Neumeister: „Angela Davis löscht ihre Website“. Edition Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2002. 128 Seiten, 8 €