Ein zynisches Lebensmittel

Bernd ist ein Kastenbrot ohne Illusionen und mit Tränensäcken. Als Hobby sammelt er „besonders langweilige Steine“ – und hoffentlich bald auch TV-Preise („Bravo Bernd“, täglich 20.55 Uhr, KiKa)

Bernd scheint zum ewigen Scheitern verdammt. Und wird genau dafür geliebt

von CLEMENS NIEDENTHAL

Öffentlich-rechtliches Kinderfernsehen ist sich seines schlechten Gewissens nur zu bewusst. Weshalb der Postbote Onkel Heini am Ende einer „Uhlenbusch“-Folge auch gerne im Gras lag, versonnen an einem Halm kaute – sein junges Publikum aber gleichsam bestimmt zum kollektiven Abschalten der Flimmerkiste nötigte. Ein weiterer nahrhafter Kinderteller voller Vollwert-Fernsehkost war leer gegessen. Jetzt ging es wieder „Raus zum Spielen“, so zumindest das Welt- respektive Selbstverständnis vieler Programmmacher aus dem Kinderfunk. Fernseherziehung durch Fernsehenthaltsamkeit hieß die Devise. Und standhaft hielt sich das Gerücht, dass die Kleinen noch keinen „Tatort“-Toten gesehen hätten.

Haben sie aber. Meint Wolfgang Lünenschloss, Redakteur beim öffentlich-rechtlichen Kinderkanal. Und hat dem vielleicht ersten medienreflexiven Comedy-Format im deutschsprachigen Kinderfernsehen auf den Weg geholfen. „Kinder-TV Total“ gewissermaßen. Nur dass Bernd, das Kastenbrot, von weitaus subtilerem Wesen ist als Stefan Raab. Um das vorwegzunehmen: „Bravo Bernd“ sollte den Fernsehkultur-Gralshütern aus Marl eine Grimme-Nominierung wert sein. Mindestens.

Aber der Reihe nach. Seit dem 1. Januar teilen sich Arte und der Kinderkanal keine gemeinsame Sendefrequenz mehr. Kinderkanal rund um die Uhr also, zumindest für satellitenbeschüsselte TV-Konsumenten. Täglich ab 20.55 Uhr erhellt seitdem Bernd die KiKa-Nacht mit seinen dunklen Gedanken. Ein sympathischer Antiheld als Protagonist einer angenehm eigenwilligen Clip-Show. Ein zynisches Kastenweißbrot mit konsterniertem Blick und viel zu kurzen Armen. Ein wenig sieht Bernd so aus, als wäre er gerade vor dem dänischen Koch aus der „Muppets Show“ geflüchtet. Wahrscheinlicher aber flüchtet er gerade vor Briegel und Chili.

Briegel, der Busch, und Chili, das Schaf, sind Archetypen eines aufgeklärten Kinderfernsehens. Mutig, selbstbestimmt, ein wenig delinquent und voller kreativer Ideen. Der eine ein Daniel Düsentrieb, die andere eine Pippi Langstrumpf. Bernd, das Brot, ist nichts von beidem. Eher ein Diogenes in der Tonne. Nur, dass er seine Tonne wahrscheinlich mit einem Deckel zunageln würde. Bernd sagt Sätze wie: „Das Universum ist ein langer, dunkler Tunnel.“ Und er sagt sie mit tiefem Timbre und noch tieferer Resignation. Bernd ist jemand, der Nina Ruge für ihr dämliches „Alles wird gut“ zutiefst verachtet.

Genau betrachtet ist Bernd das eigentlich anarchische Moment im abendlichen Zusammenspiel von Busch, Schaf und Brot. Und das, so Wolfgang Lünenschloss, „bis hin zu seiner Verweigerung gegenüber dem Leben an sich“. Immer ist er das Opfer der Spaßattacken von Briegel und Chili. Egal ob in der Weltraumparodie „Bumblebee Bush“ oder im Märchenwald, egal ob unter John Travoltas Diskokugel oder vor Jörg Kachelmanns Wetterkarte. Was ihm bleibt, ist die Flucht in sarkastische Zwischentöne: „Dieses elende Märchen sollte nicht Aschenbrötchen heißen, sondern auf der Flucht vor dem bekloppten Prinzen.“ Was ihm bleibt, ist ein leises, unstillbares Verlangen: „Ich würde jetzt gerne aus dieser Serie aussteigen.“

Bernd scheint zum ewigen Scheitern verdammt. Und wird genau dafür geliebt. Von den Kindern, die lange aufbleiben dürfen und den Kinderkanal mit selbst gemalten „Bernd“-Bildern überhäufen. Und immer öfter von distinktionshungrigen Szenegängern, die „Bravo Bernd“ als hippes, charmant nihilistisches Chill-out-Fernsehen entdecken. Taugt Bernd am Ende also gar zur Ikone der Populärkultur? Zum Brot Simpson gewissermaßen?

Spätestens im Spätsommer wird das KiKa-Nachtprogramm – und damit „Bravo Bernd“ – auch in den meisten deutschen Kabelnetzen zu empfangen sein. Bis dahin aber bleibt allen Verkabelten immerhin „Chili TV“ am Samstagvormittag – die andere Show mit Chili, Briegel und natürlich Bernd, dem Kastenweißbrot.