„Geistliche Verpflichtung“

Bei einem Treffen in Berlin verurteilen Kirchenoberhäupter aus Deutschland, Europa und den USA den Aufmarsch am Golf. Präventivkrieg sei unmoralisch

BERLIN taz ■ Im Weltsicherheitsrat wird Colin Powell ein Blatt zugeschoben: der Appell hochrangiger Kirchenvertreter aus Europa, den USA und dem Nahen Osten zur friedlichen Lösung der Irakkrise. Der US-Außenminister stoppt betroffen seine Philippika gegen den Irak. Er verkündet ein Ende aller Kriegspläne.

Nein, so war es nicht in New York – aber dies war wohl der Traum der 20 protestantischen und orthodoxen Kirchenoberhäupter, die wenige Stunden vor der UN-Sitzung auf dem Berliner Gendarmenmarkt zusammenkamen. Auf Einladung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) versammelte sich fast alles, was im Protestantismus einen Namen hat: neben dem EKD-Ratsvorsitzenden Manfred Kock auch die Generalsekretäre des Nationalen Kirchenrates der USA, Bob Edgar, des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Konrad Raiser, und der Konferenz Europäischer Kirchen, Keith Clements.

Noch am Mittwoch wollten sie den im UN-Sicherheitsrat vertretenen Staaten die Erklärung „Verantwortliche der Kirchen vereint gegen einen Krieg im Irak“ übermitteln. „Wir bedauern, dass die mächtigsten Nationen dieser Welt Krieg wieder als ein akzeptables Mittel der Außenpolitik betrachten. Dies schafft ein internationales Klima der Furcht, Bedrohung und Unsicherheit“, heißt es darin. Die Ziele vor allem der USA zur Begründung des Krieges seien nicht zu akzeptieren: „Ein präventiver kriegerischer Angriff als Mittel, um die Regierung eines souveränen Staates auszuwechseln, ist unmoralisch und stellt eine Verletzung der UN-Charta dar.“

„Als Menschen des Glaubens“, so schreiben die Geistlichen, dränge sie „die Liebe zu unseren Nächsten dazu, gegen Krieg Widerstand zu leisten“. Der Einsatz gegen einen Krieg sei „eine geistliche Verpflichtung“. Noch seien nicht alle friedlichen Mittel ausgeschöpft, um den Irak zur Annahme der UN-Resolutionen zu zwingen. Militärische Gewalt aber sei „ein ungeeignetes Mittel“, um die Abrüstung irakischer Massenvernichtungswaffen zu erreichen: „Wir bestehen darauf, dass den UN-Waffeninspektoren für die sorgfältig geplanten Maßnahmen genügend Zeit eingeräumt wird, um die Arbeit zu Ende führen zu können.“

Der Appell der Kirchenleiter ist einzigartig – weder vor dem Kosovokrieg noch vor dem Krieg in Afghanistan gab es etwas Ähnliches. Doch nach der klaren Verurteilung des drohenden Krieges durch den Papst sprachen sich schnell auch seine deutschen Bischöfe und etwas später die EKD vehement gegen einen Waffengang aus. Und richtig Schwung kam in die Debatte, als der EKD-Ratsvorsitzende Kock den US-Präsidenten George Bush des christlichen Fundamentalismus zieh.

Bob Edgar, als Chef des US-Kirchenrates Vertreter von rund 50 Millionen Gläubigen, sprang Kock bei: Bush neige „viel mehr diesem Fundamentalismus zu als den Überzeugungen seiner eigenen methodistischen Kirche“, sagte er. Wie auch ÖRK-Generalsekretär Raiser warnte er mit Blick auf Powell und seine Präsentation im Weltsicherheitsrat: „Selbst wenn Massenvernichtungswaffen im Irak vorhanden sein sollten, ist das kein Grund für einen Krieg.“

Gestern Abend waren die Kirchenoberhäupter noch zu Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) geladen, um mit ihm über den drohenden Krieg zu sprechen – problemlos und schnell kam das Treffen zustande. Seit September vergangenen Jahres, berichtet Edgar, versuchten knapp 50 Vertreter verschiedener US-Kirchen immer wieder, eine ähnliche Gesprächsmöglichkeit auch mit ihrem Präsidenten zu erhalten. Bislang vergeblich. PHILIPP GESSLER