Lieber weniger Demokratie

Spannungen bei der Reform: Die „Internet Corporation for Assigned Names and Numbers“ sieht ihre Aufgabe heute vor allem als Hilfsorganisation für die Regierungen, allen voran die US-amerikanische

von ULRICH HOTTELET

Die Konflikte um die Reform der Icann (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers), der zentralen Vergabestelle für Domainnamen und -adressen im Internet, sind zu einem guten Teil ein Abbild der Spannungen zwischen neuem Amerika und altem Europa in der weniger virtuellen Welt der Tagespolitik. Das wurde bei der Tagung des Icann-Studienkreises am 3. und 4. Februar in Berlin deutlich.

Doch anders als in der noch andauernden Auseinandersetzung um den richtigen Weg im Irakkonflikt haben sich bei der Icann-Reform US-Regierung und amerikanische Wirtschaft im Wesentlichen bereits durchgesetzt. Denn auf der Icann-Jahrestagung im Dezember wurde die Reform verabschiedet, die den Einfluss der Regierungen zu Lasten der weltweiten Nutzergemeinde stärkte. Es sei wohl „eine Frage der Perspektive“, ob man das als wachsende schleichende Einmischung von staatlicher Seite oder als Rückkehr einer öffentlichen Aufgabe in staatliche Verantwortung interpretiert, meinte der Moderator der Tagung jetzt in Berlin, Volker Leib. Immerhin gehen die Ursprünge des Internets auf die höchststaatliche Darpa (Defense Advanced Research Projects Agency), eine Forschungsorganisation des Pentagons, zurück.

Die stärkere Mitsprache der Regierungen war von Anfang an Programm der Bush-Administration. Während die Clinton-Regierung zumindest langfristig in Aussicht stellte, den Zugriff des US-Handelsministeriums auf den zentralen Root A Server aufzugeben, war unter George W. Bush noch nie die Rede davon. Der Zugriff macht es möglich, generische Top Level Domains (TLDs) wie .com oder .org und nationale TLDs wie .de oder .uk ins Internet einzustellen oder davon auszusperren. Denkbar wäre es zum Beispiel, dass die irakische TLD von heute auf morgen von der virtuellen Bildfläche verschwindet. Vint Cerf, der heutige Vorsitzende des Icann-Direktoriums, wandte allerdings ein, dass die irakischen Domaininhaber ihre Websites binnen 24 Stunden unter einer anderen TLD neu registrieren könnten. Außerdem müsste die US-Regierung mit einem Aufschrei der Internetnutzer im In- und Ausland rechnen. Cerf lobte lieber die bisher reibungslose Zusammenarbeit mit der Regierung und wies darauf hin, dass das US-Handelsministerium noch nie interveniert habe. Der Anregung des deutschen Icann-Direktors und Sprechers des Chaos Computer Clubs, Andy Müller-Maguhn, das Root-Server-System stärker zu dezentralisieren, erteilt er eine Absage. Das sei ein „riesiges Unterfangen“ und das bestehende Domain-Name-System funktioniere schließlich gut.

Einen Machtschub für die Regierungen brachte der 11. September. Nach den Terroranschlägen arbeitete Icann noch enger mit der Exekutive zusammen. Die Regierungen vertreten ihre Interessen im Governmental Advisory Committee (GAC). Formal ein Beratungsorgan, ist seine Rolle in der Praxis gewichtig, denn die Prinzipien des GAC werden von den Icann-Mitarbeitern im Tagesgeschäft angewandt.

Weniger Einfluss

Verloren an Einfluss hat dagegen die weltweite Nutzergemeinde. Sahen viele im Jahr 2000 die Testwahlen der fünf Icann-Direktoren als Umsetzung des Willy-Brandt-Slogans „Mehr Demokratie wagen“ im Netz der Netze, so verabschiedeten sich die wesentlichen Akteure der Internetverwaltung schon bald von derlei Hoffnungen. Auch Vint Cerf weint ihnen keine Tränen hinterher: „Andere internationalen Organisationen lassen auch keine Wahlen zu und werden dafür nicht kritisiert.“ Tatsächlich war das Wahlverfahren sehr aufwändig und mangelhaft zugleich. Das Problem ist noch nicht gelöst, wie sowohl die geheime Stimmabgabe als auch die Authentizität des Wählers sichergestellt werden kann. Sollte das in der Zukunft möglich sein, kann man die Entscheidung ja überdenken.

Keine Probleme mit dem Stopp der virtuellen Demokratiebewegung hat der zweite deutsche Icann-Direktor, Helmuth Schink von der Siemens AG: „Die Regierungen sind besser repräsentiert“, stellt er fest und fordert: „Der neue Vorstand von Icann muss bald das Vertrauen der US-Regierung gewinnen.“ Wenig Kopfzerbrechen bereitet der Reformprozess auch Michael Leibrandt, im Bundeswirtschaftsministerium für Icann-Fragen zuständig: Die Konflikte seien „ja nicht mehr so stark wie früher“. Und das Global Advisory Committee arbeite „sehr transparent“. Alles werde dokumentiert. Die Entwicklung sei „positiv“ und werde in Zukunft „noch positiver“.

Wie schön, wundert man sich da als Nutzer. Aber selbst der optimistische Ministerialbeamte merkte an: „Wir überlegen, wie der Einfluss des US-Handelsministeriums auf den Root A Server geschmälert werden kann.“ Ganz so konfliktfrei wird die Zukunft wohl nicht sein. Neben dem Willen der Bush-Administration, ihre Dominanz nicht nur in der Offline-, sondern auch in der Onlinewelt zu behalten und, wo nötig, auszubauen, sind auch maßgebliche Interessen amerikanischer Firmen und ihrer Markenanwälte Triebfedern der Icann-Reform. Die Unternehmen in den USA und ihre Anwälte wollen ihre Marken weltweit schützen. „Sie verlangen von den nationalen Domainregistrierungsstellen, die Postadressen aller Domaininhaber herauszugeben“, sagt Sabine Dolderer von der deutschen Registrierungsorganisation Denic.

Vertrauensverlust

Auch die Icann-Mitarbeiter erpressten gewissermaßen die Herausgabe von Registrierungslisten, indem sie androhten, notwendige technische Dienstleistungen zu unterlassen. Auch Marianne Wolfsgruber, die Geschäftsführerin des Dachverbands der europäischen Registrierungsorganisationen, CENTR, sprach von Erpressung. Das gegenseitige Vertrauen jedenfalls sei „beschädigt“. Die Personen an der Spitze müssten ausgetauscht werden, forderte sie. Cerf bewertete das Verhalten der Icann-Angestellten diplomatisch, wenn er meinte, es sei ihnen darum gegangen, das System von überflüssigem Datenmaterial zu reinigen, es seien nur falsche Maßnahmen angewendet worden.

Ergebnis der Reform ist eine höchst komplizierte Struktur mit einem Wust von Subkomitee-Abkürzungen, die nur noch Icann-Insider verstehen. Wohl kein Zufall, denn direkte Mitbestimmung der Nutzer ist weder gewünscht noch vorgesehen. Müller-Maguhn erklärte frustriert: „Ich habe den Glauben verloren, die Rolle der Nichtregierungsorganisationen in Icann stärken zu können. Die Nutzer werden nach der Reformstruktur nur sehr indirekt und auf komplizierte Weise repräsentiert. Als ich bei einer Vorstandssitzung wieder einmal etwas kritisierte, drückte man mir die US-Verfassung in die Hand mit der Bemerkung: Lies erst mal das.“

Ulrich.Hottelet@t-online.de