Voller Bollerfaktor

Größer als Gott: Fette Sprüche gehören zum Konzept der Berliner Rockband Surrogat. Doch vom Größenwahn zum Dorfdeppentum ist es nur ein Schritt

von ANDREAS HARTMANN

Ohne Größenwahn wäre die Geschichte um ein paar tolle Geschichten ärmer. Nero hätte Rom nicht angezündet, Napoleon hätte kein Waterloo erlebt. Zu Größenwahn neigt, wer entweder unglaublich einflussreich ist oder von allen Seiten zu oft gehört bekommen hat, der Beste zu sein. Neigt jedoch ein Mediokrer einfach nur dazu, maßlos aufzuschneiden, und behauptet er dann von sich, ein Titan zu sein, nennt man das pathologisch und erklärt denjenigen zum Dorfdeppen.

Die Band Surrogat ist in diesem Sinne dem Dorfdeppen um einiges näher als Muhamed Ali. Ihre neue Platte „Hell in Hell“ wird in so ausführlichen Selbsterklärungen als fett in fett, groß in groß, toll in toll umworben, dass es schwer fällt, nach mehrmaligem Hören sagen zu müssen: Stimmt alles gar nicht. Muss man aber. Die Platte soll, so das Anliegen, die Stumpfheit von AC/DC, den Bollerfaktor von Motörhead und die Bleischwere von Kyuss gleichzeitig transportieren. Doch an diesem Vorhaben verhebt sich die Band schwer, dafür klingt ihre Platte viel zu schwach auf der Brust. Und dennoch packen Surrogat ein Eisernes Kreuz auf ihr Plattencover, wollen also an die gute alte Biker-Provo-Masche anknüpfen und geben ihrem Werk einen Titel, der ausdrücken soll, dass wahre Maßlosigkeit nur schwer in Worte zu fassen ist.

„Was das alles soll?“, fragte jüngst dann auch die Berliner Zeitung bei ihrer Besprechung eines Surrogat-Konzerts in Berlin. Statt eine Antwort zu geben, kann man sich dieser Frage nur anschließen. An drei aufeinander folgenden Tagen tritt die Berliner Band auf ihrer laufenden Tour in derselben Stadt auf. Weil das, so erklären Surrogat, die noch so richtig ackernden Jeansjacken-Rockbands der Siebziger auch so gemacht hätten. Zumindest auf dem ersten Berlinkonzert war die Stimmung jedoch äußerst lau, und es war nur wenig zu spüren von der versprochenen Ekstase und dem kollektiven Wälzen in Bierlachen. „Wir machen das nun schon eine Weile so, und am ersten Tag ist es immer so. Doch denkt daran: Ihr seit die Party“, mit diesen Worten versuchte Sänger Patrick Wagner die Situation zu retten. Doch das Konzept Surrogats, um jeden Preis stumpf und dumpf zu sein, ist auf die Dauer selbst für echte Rocker einfach zu ermüdend.

Surrogat scheitern, nicht mal im großen Stil, sondern einfach nur so, und das gleich aus mehreren Gründen. Seit ein Journalist Patrick Wagner, eindeutiges Sprachrohr der Band, einmal „größer als Gott“ nannte, fand der das so gut, dass er seitdem selbst seine Briefe mit diesem Anhängsel unterschreibt. Im Song „Gott AG“ heißt es nun: „Du machst dir immer wieder klar, du bist Patrick Wagner Superstar, du machst Träume wahr.“ OK, Maßlosigkeit, Durchdrehen, darum geht es hier, haben wir kapiert, ist auch toll und allemal besser als schüchterne Eckensteher, die sich in Postrock versuchen und vom großen Drama Pop denkbar weit entfernt sind. Allerdings hat man nun auch schon so einiges an Sprücheklopfereien solcher begnadeter Großmäuler wie Liam Gallagher oder Robbie Williams mitbekommen, die schon seit Jahren in der Sache „Größenwahn“ unterwegs sind. „Ich bin der Beste!“-Erklärungen waren also auch schonmal frischer.

Dazu kommt, dass dieser fordernde Gestus Surrogats Sinn machte, als er sich immer selbst entlarvte und man auch ohne schriftliche Erklärungen kapierte, dass es sich hier um Ironie handelte. Es gab mal eine Zeit, da war Surrogat eine kleine Rockband, die gern Erfolg gehabt hätte und in der Patrick Wagner noch kaum seine Miete bezahlen konnte. Es war dies auch noch die Zeit der „Neuen Mitte“ in Berlin, als ehemals besetzte Häuser rundum saniert wurden und Webdesigner noch einen Job hatten. In dieser Zeit waren Slogans wie „Gib mir alles!“ noch echt cool. Da stand er nun, dieser Patrick Wagner, der alle mit seiner Begeisterung mitreißen konnte und bei dem man das Gefühl hat, er hätte in einem anderen Job mit seiner Energie die New Economy allein retten können – und arbeitete sich trotzdem lieber platt für die poplige Band.

Inzwischen sind Surrogat bei Universal, einer Firma, die es sich eine Stange Geld kosten lassen, damit Surrogat ihre Größenwahn-Show durchziehen können. Aus dieser Position heraus das Maul aufzureißen ist keine Kunst mehr.

Surrogat: „Hell in Hell“ (Motor/Universal)