Schlüsselreiz Soundtrack

Das Gefühl, von Umständen zerdrückt zu werden, die man sich selbst nicht ausgesucht hat: Stephen Daldrys „The Hours“ im Wettbewerb über depressive Mittelschichtsfrauen

Manchmal können Filme ganz schön nerven. „The Hours“, der Wettbewerbsfilm von Stephen Daldry zum Beispiel, die Verfilmung des gleichnamigen Erfolgsromans von Michael Cunnigham, der Motive aus Virginia Woolfs erstem Roman „Mrs Dalloway“ für die Jetztzeit variierte. Film und Buch, „ein brillianter Roman über Frauen, die keine Kompromisse wollen“ (Brigitte), erzählen von drei Frauen aus der oberen Mittelschicht, die quasi am Abgrund ihrer selbst stehen.

Die Schriftstellerin Virginia (Nicole Kidman) kämpft 1923 in einem Londoner Vorort „gegen ihre kranke Psyche“ (Presseheft) und mit dem Eröffnungssatz für ihren Roman; die Hausfrau und Mutter Laura Brown fragt sich 20 Jahre später in Los Angeles nach der Lektüre von „Mrs Dalloway“, ob es nicht an der Zeit sei, ihr Leben zu ändern, und Clarissa Vaughan (Meryl Streep) möchte eine Party für ihren Freund, den aidskranken Dichter Richard (Ed Harris) geben, der sie stets spöttisch „Mrs Dalloway“ nennt und sehr depressiv ist. Überhaupt sind ständig alle ständig in diesem Film deprimiert, fühlen sich gefangen, in einem Leben, das sie so nicht wollten, umgeben von Menschen, die immer besser wissen, als sie selbst, was für sie gut ist. So weit, so gut und das Gefühl, von Umständen zerdrückt zu werden, die man sich selber nicht ausgesucht hat, die Sehnsucht, aus diesem Leben zu verschwinden, ist weder auf Frauen noch auf die Zwanzigerjahre beschänkt, also natürlich wert, bearbeitet zu werden.

Allein wie dies geschieht, ist äußerst ärgerlich. Schon dass der Filmemacher das Woolf’sche Thema von Entfremdung, Depression und künstlerischem Schaffen in drei Geschichten variierte, wirkt wie eine unzulässige Verallgemeinerung eines individuellen Schicksals. Regelrecht widerwärtig gefühlsmanipulativ über Schlüsselreize sind dann einige Szenen, etwa wenn die Mutti ihren Sohnemann abgibt, um sich das Leben zu nehmen, es aber doch nicht macht, und dann fahren sie zu zweit wieder nach Hause und der kleine Junge guckt traurig und sagt: „Mami, ich liebe dich.“

Am schlimmsten ist aber der durchgehende, ekelerregend sentimental romantisierende Soundtrack von Philip Glass, der so klingt wie ein längeres Klassikradio-Sample und dem Zuschauer die Gefühle diktieren möchte, die er gerade zu haben hat. Da könnt ich mich drüber aufregen! Übrigens ist das Thema kreative depressive Frauen zurzeit angesagt; in England etwa wurde die in einem sehr erfolgreichen Buch verwurstete Geschichte von Ted Hughes und Sylvia Plath grade verfilmt. Dass die Tochter von Sylvia Plath den Filmern wegen Voyeurismus untersagte, Gedichte ihrer Mutter einzubauen, sei nur nebenbei bemerkt. DETLEF KUHLBRODT

Heute, 15 und 18.30 Uhr Royal-Palast, 22.30 Uhr International