Lose Fluppen: Oasen in der Berliner Servicewüste

Abrunden verboten

An meinen Canaren-Urlaub über Weihnachten erinnert mich so langsam nur noch die Plakatkampagne in den Berliner U-Bahnhöfen. Die Bräune verblasst trotz aller Auffrischungsversuche in Miet-Toastern. Was noch viel schlimmer ist, die steuerfreien Fluppen – 200 Stück zu 13,71 Euro inklusive Feuerzeug – sind inzwischen auch verqualmt. Nichts mehr mit „liberté toujours“ für meinen anarchistischen Geist. Meine Bronchien antworten auf den Spruch sowieso nur pfeifend „freedom’s just another word for nothing left to loose“.

Unser aller Finanzminister hat die Terrorsteuer auf Zigis auch schon wieder erhöht. Eigentlich noch ein guter Grund, das Rauchen – mal wieder – aufzugeben. Leider schmeckt der Arabica-Espresso von Lidl trotz des „sehr gut“-Siegels der Ökotester ohne Kippen nur halb so gut. Daran kann auch die Milsani-Vollmilch im Landromantik-Tetrapack von Feinkost Albrecht wenig ändern. Trotzdem kaufe ich keine ganzen Zigarettenschachteln mehr. Das habe ich meinen musikalischen Lungenflügeln versprochen. Außerdem habe ich keine Lust, der Hauptsponsor von irgendwelchen seltsamen Antiterroraktionen zu werden.

Was tun? Das Schöne an Berlin ist, dass es im Dienstleistungsbereich fast schon so weit ist wie Kolumbien oder Madagaskar. Dort gibt es nämlich Fluppen auch einzeln. Der Vorteil liegt auf der Hand: Nach dem Kauf von drei Fizis lockt keine pralle Schachtel den ganzen Tag lang. Vor allem türkische Geschäftsleute haben diese Marklücke in der preußischen Servicewüste entdeckt und bedienen die Wünsche ihrer Kunden. Zumindest fast, schließlich haben sich die Kleinunternehmer inzwischen der Berliner Mentalität weitgehend angepasst. Während ein Raucher in Kolumbien seine Marke bekommt, werden einem hier billige Burton, lausige Count oder überlagerte Rothändle für 20 Cent verpasst.

Der Tabakladen in meiner Straße hat aufgehört, einzelne Kippen zu verhökern. Nicht etwa, dass es ein schlechtes Geschäft wäre – die Verdienstspanne könnte so mancher Ich AG zu einer schönen neuen Unternehmerexistenz verhelfen. Nein, der ehemalige Polizist erzählte mir, dass er eine Warnung, verbunden mit einer saftigen Strafandrohung, vom Finanzamt erhalten habe. Zur Verhinderung von Steuerhinterziehung sei es verboten, Zigaretten einzeln zu verkaufen … Wieso denn das? Wird demnächst Wodka in Kneipen auch nur noch flaschenweise erhältlich sein? Schließlich wäre auch Schnapsschmuggel bei unserer großzügigen Branntweinsteuer von fünf Euro pro Liter ein lukratives Geschäftsfeld.

Dieser Gedanke lässt mir keine Ruhe. Ich will von den Steuereintreibern wissen, wer auf die geniale neue Einnahmequelle für die Pleitemetropole gekommen ist. Manfred Becker, der Sprecher der Oberfinanzdirektion, zeigt sich verwundert: „Davon ist mir nichts bekannt.“ Der Beamte hat noch nie davon gehört, dass in der Bundeshauptstadt Zigaretten einzeln erhältlich sind. „Außerdem ist die Tabaksteuer ohnehin keine Landessteuer. Wir haben weder mit der Erhebung noch mit der Durchführung etwas zu tun“, fügt er hinzu.

Zuständig sei das Zollamt in Potsdam. Dessen Sprecher, Thomas Jansen, ist genauso überrascht wie sein Berliner Kollege. Nachdem er sich in seiner Behörde erkundigt hat, erklärt er mir merklich amüsiert den Sachverhalt: Das Zoll-Fahndungsamt habe derartige Schreiben nicht verschickt. „Grundsätzlich dürfen Zigaretten einzeln verkauft werden, wenn sie aus einer ordnungsgemäß versteuerten Schachtel stammen.“ Allerdings hat die Sache natürlich einen kleinen Haken: Die einzelne Fluppe muss genau zu dem Preis verkauft werden, den sie in einer Schachtel kosten würde. Also zum Beispiel zu einem Achtzehntel von 2,90 Euro. „Nicht darüber und nicht billiger, Auf- oder Abrunden ist nicht gestattet“, erklärt Jansen freundlich. Das wäre dann gleich das Vergehen einer Steuerhinterziehung im Promille-Euro-Bereich. Die Strafandrohung von mehreren tausend Euro könne auf einer Schätzung der auf diese Weise hinterzogenen Tabak-, Antiterror- und Mehrwertsteuer seit Eröffnung des Geschäftes beruhen.

Von wem das obskure Schreiben stammt, ist mir inzwischen fast egal: sei es des Finanzministers Verständnis von „Entbürokratisierung“, die preußischen „Eigenbemühungen zur Haushaltskonsolidierung“ oder der Ausfluss eines unterbeschäftigten, aber karrieregeilen Sachbearbeiters. Ich habe in meinem Neuköllner Kiez einen Kiosk gefunden, der sogar die Glimmstängel mit der „ewigen Freiheit“ einzeln verkauft.

Trotz des intensivierten Kampfes gegen das Böse sind die Kippen dieses Jahr nicht teurer geworden – nach wie vor 20 Cent das Stück. Eine nette Geste an die Kundschaft oder die Vorboten der befürchteten Deflation? Vielleicht ist das auch nur der Versuch, das Bußgeld – falls ein Zivilfahnder Eichels das halblegale Wirtschaften entdeckt – gering zu halten.

STEFAN KNOBLICH