Ballett und Kampfsport

Mit Choreografien gegen die Schwerkraft: Die Shaw Brothers waren in den Siebzigern die größten Produzenten von Hongkong-Filmen. Das Forum zeigt eine Auswahl ihres umfangreichen Werks

von BRIGITTE WERNEBURG

Seinen eigentlichen Sexappeal verdankt das Kino und sein Personal dem Paradox. Deshalb sind tanzende Männer und kämpfende Frauen das Anbetungswürdigste, was das Kino zu bieten hat – tanzende Frauen und kämpfende Männern sind eben nur das Alltagsgeschäft. Wenig verwunderlich, dass in der Fortführung des Kinos mit den Mitteln des Videoclips der martialische Gangsta Rapper als supermaskuliner Knecht (Frantz Fanon) der Unterhaltungsindustrie sein vieles Geld nicht nur mit starken Sprüchen, sondern vor allem gut choreografiert einfährt. Dass der Tanz hier die Kriegskunst vertritt, scheint selbstverständlich. Dass aber die Martial Art auch für den Tanz einspringen kann, um das zu erkennen, dafür brauchte es einmal das Hongkong-Kino.

Das Hongkong-Kino, das die diesjährige Berlinale im Forum mit einem echten Fund, einer kleinen filmhistorischen Sensation präsentiert: mit fünf Filmen der legendären Shaw Brothers. Der 1985 verstorbene Runme Shaw und sein heute 93-jähriger Bruder Sir Run Run Shaw waren von 50er-Jahren an bis in die späten 70er-Jahre die größten Produzenten des Hongkong-Kinos und ihr Studio ein veritables Medienkonglomerat mit Kinoketten, Vergnügungsparks und Dependancen bis nach Singapur. Als sie in den 80er-Jahren das Studio schließen mussten, hielten die Shaw Brothers 760 Kopien der Filme rigide unter Verschluss. Von den teils legendären Filmen gab es seitdem weder Videos noch DVDs, noch wurden sie im Kino oder im Fernsehen ausgewertet.

Erst im Jahr 2000 gelang es dem malayischen Medienmogul William Pfeiffer und seiner Celestial Pictures Ltd., sämtliche von den Shaw Brothers produzierten Filme aufzukaufen. Mit 37 Mitarbeitern restauriert das Shaw Brothers Studio Remastering Center in Hongkong inzwischen vier Filme pro Woche (ein Tempo, das dem der Produktion der Originalfilme nur wenig voraus sein dürfte) und überspielt sie auf DVD. Das Verfahren ist anspruchsvoll und bewahrt vor allem das ursprüngliche Breitleinwandformat, das „Shawscope“ der Filme. Drei dieser neuen und zwei nicht überarbeitete, aber gut erhaltene Kopien haben nun also ihren Weg nach Berlin gefunden.

Es zeigt sich, dass die Produzenten des Schwertkampf- und Martial-Art-Kinos keineswegs nur auf Action und Kung Fu setzten, sondern auch die China Oper und das westliche Musical in ihrem Repertoire hatten. Der älteste der hier aufgeführten Filme, „The Kingdom and the Beauty“, 1959 in der Regie von Li Han-hsiang entstanden, gilt als einer der schönsten „huangmei“-Opernfilme, einer gegenüber der Peking-Oper weniger streng kodifizierten Opernform, die dann auch von einfachen Melodien bestimmt ist und den staunenden westlichen Zuschauern den wahrscheinlich ersten chinesischen Rapper zeigt. Er heißt Ta Niu und macht sich als Freund Li Fengs auf den Weg zum Kaiser von China, um ihm zu sagen, dass dessen Nacht mit ihr nicht ohne Folgen blieb. Als Bänkelsänger berichtet er während seiner Reise vom Kaiser, der eines Tages unerkannt in seinem Heimatort auftauchte, sich dort in Li Feng verliebte, dann aber gleich wieder von der Hofkamarilla heimgeholt wurde, woran Li Feng, die Mutter seines Sohnes ist, zu verzweifeln droht.

Ein Kameraschwenk über eine wunderschöne traditionelle Tuschzeichnung, die eine arkadische Landschaft zeigt, führt in den Film ein, und mit diesem Schwenk ist auch das Szenario schon auf das Präziseste benannt. Inmitten eines strengen Rahmens, den die mal freie, mal gehegte Natur aus Büschen, Bäumen, Gattern oder Balustraden liefert, entfaltet sich die Pracht der Kostüme und der satten Farben des Sets. Obwohl am Schluss höchst melodramatisch, kommt die Geschichte so doch in einer geschlossenen, gemäßigten, unprätentiösen Form an ihr Ende, an dem der Hongkong-Superstar der Zeit, Linda Lin Dai als Li Feng, schließlich in den Armen ihres geliebten Kaisers stirbt.

Sehr sixties, sehr bunt und doch noch sehr cool in Form- und Farbgebung wie der jazzigen Musik kommt dann „Hong Kong Nocturne“, in der Inszenierung des japanischen Regisseurs Inoue Umetsugu über die Leinwand. Es sind eben noch die frühen 60er-Jahre, 1966 genau, in denen das Musical gedreht wurde. Hier freilich tanzen vor allem die Frauen, die Töchter eines Zauberkünstlers, der sie ausnutzt, womit eine Emanzipationsgeschichte von großem Charme einsetzt. Als Musikfilm freilich leidet „Hong Kong Nocturne“ an seinen nicht ganz so großartigen Tanznummern.

Sie heben nicht richtig ab. Und im Abheben, dem unbegreiflichen Sieg über die Schwerkraft, liegt ja das unvergleichliche, euphorisierende Moment, das Tanz und die Martial Art vereint. Hier, bei den kämpfenden Frauen von „Come Drink with Me“ oder „Intimate Confessions of a Chinese Courtesan“ wie schließlich bei den Kriegern im legendären Kung-Fu-Film „The 36th Chamber of Shaolin“ ist schlicht nur noch das ganz großartige Kino der Shaw Brothers, des Hongkong-Films zu bestaunen.