Endlosbeerdigung

Er verdient: „Eigentlich wollte ich Förster werden – Bernd aus Golzow“ von Barbara und Winfried Junge im Forum

Wieder kann ein Golzower Bürger, diesmal Bernd, ins Forum gehen, um sich die letzen 40 Jahre seines Lebens in einer Kurzversion von zweieinhalb Stunden anzuschauen. Barbara und Winfried Junge, selbst mittlerweile im pensionsfähigen Alter, haben wieder einen Dokfilm geschaffen, der an einzelnen Menschen die Entwicklung der DDR, ihren Untergang und die Etablierung „der Freiheit“ nachzeichnet. Nervte Junge in früheren Filmen mit seiner penetranten Moral aus dem Off, setzt sich nun immer mehr eine zurückhaltende Kommentierung durch.

Bei der Langzeitbeobachtung einer Langzeitbeobachtung ist man fast glücklich, mit Bernd mal jemanden zu haben, der durch die Wende nicht völlig aus der Bahn geworfen wird. Oh Wunder: Der Mann wird nicht arbeitslos und verdient gut! Er kurvt noch heute auf dem Rad durch das modernisierte Chemiekombinat Schwedt und kontrolliert irgendwelche Produktionsabläufe. Schließlich ist seine Frau arbeitslos geworden.

Einmalig an den Golzower Filmen ist die zeitsynchrone Kommentierung der Verhältnisse. Beim Interview kurz nach dem Mauerfall fragt Junge das Ehepaar, ob es sich denn nun freue auf die neuen Möglichkeiten. Nein, Angst habe man vor der Zukunft. In der DDR war Bernd einst einigermaßen begeistert mit Gasmaske bei einer NVA-Einheit zur Bekämpfung chemischer Kampfmittel eingesetzt – auch hier absurd erscheinende Bilder von einer Militärübung zu sehen, wo Panzer gewaschen werden – 1990 fährt er mit seiner Frau auf der Spree am Reichstag vorbei und trägt ein gerade bei Ostlern modernes T-Shirt mit US-Army Aufschrift.

Wieder sehen wir die merkwürdige Tristesse Ostberlins. Am Alexbrunnen im Sommer trifft sich „die Jugend der Welt“ und wirkt auf eine merkwürdige Art aber ganz glücklich. Interessant auch ein Hinweis auf die latente Ausländerfeindlichkeit in der DDR. In den Achtzigern hat Bernds sympathische Frau Angst, abends in Schwedt tanzen zu gehen, „wegen der Ausländer“.

Das Paar bekommt zwei Kinder (die Junge als Erwachsene dann in Hamburg interviewt) und endlich eine größere Wohnung. Die Plattenbauten „mit fließend Wasser“ werden inzwischen mit Fördergeldern abgerissen. Schwedt leidet unter Entvölkerung. Die Langzeitbeerdigung der DDR und ihrer Bürger, bei Junges Golzowern ist sie direkt am Menschen zu besichtigen. ANDREAS BECKER

Babylon, 12. 2., 14.30 Uhr