Strammer Büffel

Näher an Satriani, Sting und den Stones als an den Strokes: Die Rockband Red Hot Chili Peppers aus Kalifornien demonstrierte beim Konzert in der Berlin-Arena, wie groß und wie gut sie geworden ist

Rock ist für die Red Hot Chili Peppers eine Feier des Körpers und des Könnens

von GERRIT BARTELS

Es lässt sich inzwischen guten Gewissens sagen, dass die vier Herren von den Red Hot Chili Peppers ihr musikalisches Wirken nur noch höchst ungern begleitend illustrieren oder interpretieren, etwa in aussagekräftigen Interviews, CD-Booklets oder während eines Konzerts. Sie haben kein Interesse daran, sich und ihre Musik in größere popkulturelle Zusammenhänge einzuordnen. Ihnen reicht es zu sagen: Wir kommen aus Kalifornien und spielen Rockmusik. Punkt. Aus.

Insofern dürfte es auch keine Absicht gewesen sein, als bei ihrem Konzert am Montagabend in der ausverkauften Berlin-Arena eines der auf die vierteilige Bühnenleinwand projizierten Videos plötzlich richtig Sinn machte. Da standen die Red Hot Chili Peppers auf der riesigen, karg ausgestatteten Bühne und spielten einen von ihren älteren, nervös vor sich hinzuckelnden Songs, mit denen sie einst die Blaupause für einen Sound schufen, den man heutzutage New Metal nennt. Dazu bewegten sie sich, als wären sie nicht alle bald vierzig, sondern gerade mal zwanzig Jahre alt, und hinter ihnen sah man plötzlich von links nach rechts unermüdlich einen Büffel geschwind durchs Bild laufen.

So wie dieser Büffel bewegen sich auch die Red Hot Chili Peppers seit inzwischen zwanzig Jahren durch die Pop- und Musikwelt: durch nichts aus der Bahn zu werfen, nicht durch Drogen, nicht durch öfter mal wechselnde Gitarristen, nicht durch Heidi Klum und schon gar nicht durch irgendwelche heiß laufenden Rocktrends, hießen sie nun Grunge, New Metal oder neuer Rock ’n’ Roll. Immer größer und erfolgreicher werdend, ziehen sie schwergewichtig und dickhäutig ihre Kreise.

Mit ihrem jüngsten Album „By the Way“ haben sie den Status einer Superrockband erreicht, die nicht mehr mit den geringfügigen Maßstäben von aktueller Rockmusik zu messen ist, sondern in einer Liga mit Sting, R.E.M., U2 oder Springsteen spielt (nur die Rolling Stones spielen noch eine Liga drüber, aber die sind ja auch älter). Melodien für Millionen, die in Baseballstadien gespielt werden und auch Bankangestellten oder Arzthelferinnen ein Lächeln auf das Gesicht zaubern. Allerdings kein verklärtes, das sie an ihre Jugend denken lässt, sondern ein ganz aktuelles, weil sie sich auf ihren Feierabend freuen. Die Red Hot Chili Peppers sind nicht weniger als ein erfolgreicher amerikanischer Exportartikel wie McDonald’s, Coca-Cola oder Starbucks.

Dass es bei so viel Größe an diesem Abend trotzdem eine Vorband gibt, überrascht dann ein wenig – ein bisschen Rock ’n’ Roll, ein bisschen Sex muss vielleicht doch sein, zumal die Vorband den schönen Namen The Toilet Boys trägt. Die mühen sich redlich mit Glam Punk von der Stange, lassen einen ihrer Songs von drei teils barbusigen Go-go-Girls begleiten und glänzen am Ende tatsächlich mit einer schönen Version des alten Ramones-Gassenhauers „Blitzkrieg Bop“. Nicht mal der Graben zwischen Bühne und Publikum stört in diesem Moment, den nutzt der Sänger der Toilet Boys, mit einem Dreizack bewehrt, für seinen Abgang und hat dabei seinen Mordsspaß.

Das ist insofern erwähnenswert, als mit dem Kommen der Red Hot Chili Peppers sofort wieder Distanz hergestellt wird. Da kommt zuerst und ganz allein Bassist Flea auf die Bühne und zeigt mit einem gut zweiminütigen Solo an: Jetzt wird hier richtig gutes Handwerk demonstriert, kein dreckiger Rock ’n’ Roll. Hier geht es jetzt eher in die Nähe eines Joe Satrianis als in die der Strokes! Hier ist jetzt eine Band am Start, die es sich leisten kann, herumzuspielen, zu jammen und relativ spontan Coverversionen wie „Fox on the Run“ von Sweet oder „Havana Affair“ von den Ramones zu streuen, um dann das Publikum jederzeit mit einem der eigenen Hits wieder zurückzuholen.

Gelernt ist gelernt, wiederholen ist gestohlen sozusagen, selbst wenn Sänger Anthony Kiedis, Gitarrist John Frusciante und Bassist Flea sich immens jugendlich-sportiv geben und mit freien Oberkörpern und wehenden Haaren wie aufgezogen die Bühne auf- und ablaufen. Auch auf den Händen zu laufen ist für einen wie Flea kein Problem. Rock ist bei den Red Hot Chili Peppers nicht mehr wüst und kaputt, sondern stramme, muskelstarrende Arbeit, die zusammen mit guten Songs und schönen Melodien gute Gefühle verschaffen soll. Eine Feier des Körpers und des Könnens, fit for fun, fit for future. Hitmaschine Red Hot Chili Peppers.

Dabei merkt man nicht nur bei der Zugabe „Under the Bridge“, der Ballade aus den frühen Neunzigerjahren, mit der die Band sich das erste Mal ein größeres Publikum erschloss, dass viele der Chili-Peppers-Songs im Gefühlshaushalt vieler junger und alter Menschen eine große Rolle spielen. Ob bei aktuellen Hits wie „By the Way“ und „The Zephyr Song“, bei dem 99er-Stück „Otherside“ oder auch dem alten, funkigen „Give It Away“ – das Publikum singt viele Zeilen beseelt mit und scheut sich nicht, die Feuerzeuge anzumachen und in die Höhe zu halten. Es schaut allerdings etwas enttäuscht aus der Wäsche, als die Band schon nach gut achtzig Minuten und den beiden Zugabensongs nicht mehr zurück auf die Bühne kommt. Da haben sich die Red Hot Chili Peppers vielleicht doch überlegt, Kräfte zu sparen. Es könnte ja sein, dass sie eines gar nicht so fernen Tages größer als die Rolling Stones würden.