dieter baumann über Laufen
: Die Hormone spielen nicht mit

Ein Glücksgefühl habe ich nie beim Laufen. Nur hinterher, weil ich froh bin, es wieder geschafft zu haben

Vor wenigen Wochen wurde ich durch die plakative Überschrift eines Zeitungsartikels aufgeschreckt: „Glückshormone purzeln nur so“. Ach nein, die Glückshormone, unverwüstlicher Mythos der Lauftheoretiker. Irgendwo tief in uns stecken sie, die Endorphine, und bei langen Läufen sollen sie dann nur so beglückend heraussprudeln. Ein Rausch ganz ohne Zutun, nur mit ein bisschen Laufen. Jahrelang probierte ich das – aber nichts, kein Rausch, kein Glücksgefühl. Höchstens nach dem Laufen, wenn ich froh war, es wieder einmal geschafft zu haben. Wie oft habe ich sie mir bei einem langen Dauerlauf herbeigesehnt oder in Hamburg, bei meinem ersten Versuch über die Marathondistanz im letzten Jahr. Ja, dort hätte ich diese Glückshormone gut gebrauchen können. Nur ein kleiner Schub von den Dingern bei Kilometer 30, und alles wäre gut geworden – aber nichts, gar nichts davon. Was blieb, war ein undefinierbares Ziehen oder Brennen in den Oberschenkeln.

Schon im zweiten Satz des Zeitungsartikels wurde mir klar: Es ging gar nicht um das Laufen, von Skilanglauf war die Rede, und schon war der uns Läufer umgebende Mythos vom Glücksrausch weg. Aber es kam noch schlimmer. Denn da stand: „Langlaufen ist mehr als nur eine perfekte Art des Fitnesstrainings.“ Hey, meine Sportart ist doch das perfekte Fitnesstraining. Mit Laufen bleibt man gesund, reklamiere ich innerlich gekränkt. Und überhaupt, „perfekt“ ist „perfekt“, „mehr als perfekt“ ist Blödsinn.

Von zwei Neuerungen war da zu lesen: Einerseits sind die Langlaufbretter kürzer geworden, damit die Inlineskater auf die Bretter geholt werden. Der Verfasser verspricht, „kräftig ausholende Schlittschuhschritte“ würden „das Adrenalin zum Prickeln bringen“ – bitte fragen Sie mich nicht, wie das geht –, und andererseits heißt das neue Schlagwort in den Loipen „Nordic Cruising“, mit der neuen „Wide Body Technologie“. Gemeint ist nicht etwa die jeweilige Körperfigur des potenziellen Skikäufers, sondern der neue Zuschnitt des Skis. Offensichtlich ist er an manchen Stellen etwas breiter, wird nach vorne schmal und an der Spitze dann doch wieder breiter. Der Ski gleitet anscheinend „ohne stundenlanges Wachsen und aufwändige Pflege auf dem rennsporterprobten Grafitbelag extrem gut“. Das hört sich sagenhaft gut an und vermittelt den Eindruck, als ob man mit der neuen Skitechnik ganz ohne Anstrengung vorwärts käme – wie in einem Cadillac auf einem amerikanischen Highway, mit Tempomat, Cola-Dose und Countrymusik.

Glückshormone, prickelndes Adrenalin, das mühelose Cruisen auf den Brettern. Toll, das wollte ich bei diesem schneereichen Winter gleich einmal selbst probieren. Aber ein Fachmann nahm mir schnell die erste Illusion: „Nordic Cruising, das ist wie Laufen im Schnee, genau das Richtige für dich.“ Wie enttäuschend, dachte ich und entschied mich dann doch lieber für meine alten Langlaufbretter. An der Unterseite befinden sich noch die altbewährten Schuppen, damit kam ich wenigstens die Berge besser hoch. Bei Flachstücken versuchte ich, im alten klassischen Parallelstil zu gleiten. Hin und wieder gelang das sogar.

Irgendwie kamen mir im weiteren Loipenverlauf plötzlich Hügel in die Quere, die aus meinem souverän wirkenden Gleitschritt ein mühevolles Steigen werden ließen. Aber auch damit kam ich nicht richtig vom Fleck, und je steiler es den Berg hinaufging, desto kürzer mein Schritt. Am Ende blieb nur noch ein klägliches Trippeln in V-Stellung. Mit meinen Arme schlug ich die Skistöcke wie wild in den Schnee, um meinen Körper nach oben zu wuchten, und fragte mich, warum der liebe Gott ausgerechnet bei mir die Schultermuskulatur vergessen hat.

Außerdem waren die Schneebedingungen an diesem Tag nicht so, wie sie im Hochglanzprospekt immer dargestellt werden. Im flachen Gelände wirkten die vereisten Loipen noch harmlos. Allerdings wurde mein müheloses Gleiten zeitweise von einer Rutschpartie nach hinten unterbrochen – die Schuppen leisteten auch nicht mehr das, was sie vor Jahren noch schafften. Die vereisten Abfahrten brachten dann tatsächlich das, was man prickelndes Adrenalin nennen könnte. Kurz: Ich schoss unkontrollierbar talwärts. Als letzte Möglichkeit zum Bremsen blieb nur eines: sich in den Schnee werfen. Beim Aufstehen löste die Erkenntnis, noch einmal einer Gipsbandage entronnen zu sein, ein wahres Glücksgefühl bei mir aus – endlich. So einfach ist das.

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