Rock, Minirock und Marx

In einer ebenso ambitionierten wie unterhaltsamen Reihe widmet sich der SWR der alten Frage: „Was war links?“ – die Doku ist alles andere als ein nostalgischer Rückblick (22.30 Uhr, SWR)

von DANIEL HAUFLER

Die kokett doppeldeutige Frage war 1992 berechtigt: „What’s left?“ Hatte sich doch kurz zuvor der „real existierende Sozialismus“ in die Geschichtsbücher verabschiedet, und die deutsche Linke war tot wie ein Topflappen. Nur dass die Frage im Feuilleton der FAZ gestellt wurde, irritierte ein wenig. Um Antworten bemühten sich Philosophen wie Norberto Bobbio und André Gorz, neoliberale FAZ-Journalisten und die üblichen einst linken Publizisten wie Peter Glotz und Cora Stephan. Das Ergebnis war trist. Nur der nationalkonservative Historiker Ernst Nolte stellte überraschend fest, dass von der Linken einfach „alles“ bleibe – „ausgenommen die Idee der erlösenden Weltrevolution durch die ‚Partei der Arbeiterklasse‘ “. Da war was dran.

Diesen Beitrag muss auch Andreas Christoph Schmidt gelesen haben, als er seine unterhaltsame vierteilige Doku-Serie „Was war links?“ vorbereitet hat. Denn vor allem in der ersten Folge mutiert Nolte nun zum wesentlichen Theoretiker der Linken. Und er teilt Tröstliches mit: Die Linke existiert im Grunde, seit es Menschen gibt, auf jeden Fall seit den Hochkulturen der Antike. Damals schon wollte ein ägyptischer Zimmermann nicht mehr für seinen Herrscher Bretter schleppen. „Das ist ein echter linker Affekt, auch ein berechtigter, ein potenziell positiver“, befindet der Historiker. Die Linke wollte eben immer die Verhältnisse ändern, „notfalls mit Gewalt, also Rebellion“.

So sei es auch in den späten 1950er-Jahren gewesen, meint Filmautor Schmidt. Die „Halbstarken“ ließen sich die Haare lang wachsen und zerlegten nach Konzerten von Bill Haley die Stuhlreihen zu Kleinholz. Der Aufstand war also da. Nur: „ohne Warum, Wieso, Wohin“. War das links? Oder eher Ausruck des Lebensgefühls einer jungen Generation, die einfach nicht so ordentlich, sauber und spießig wie ihre Eltern sein wollte?

Beides, glaubt der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit. Rock war ebenso links wie Minirock und Marx. Auf jeden Fall war, so Theweleit „die Popkultur viel wichtiger als die Blauen Bände“ der Marx-Engels-Werke. Es galt frech zu sein gegenüber den Autoritäten. Die hätten doch „Dreck am Hacken“ gehabt und gerierten sich als Saubermänner.

Klar war: „Die Autoritäten hatten sich blamiert.“ Das sagt auch die Publizistin Barbara Sichtermann. Keiner wollte mehr so sein. Doch während die Älteren nicht anders konnten, dachten die Jungen, es muss anders gehen. Sie hörten Beatles und Rolling Stones, hingen herum und sagten verwunderten Reportern in die Kamera: „Ich finde det jut, wie man in England herumgammelt.“ Oder über ihre langen Haare: „Ich finde das auf ’ne Art doll und dufte. Ich bin gegen Spießbürger.“ Ob das „links“ war – diese Frage stellte sich für diese Generation nicht. Rebellion war es trotzdem.

Diese These belegt Schmidt überzeugend mit zahlreichen Dokumentaraufnahmen von Konzerten und Straßenschlachten. Dagegen schneidet immer wieder „Talking Heads“ zur Theorie der Linken, allen voran die Marxismus-Experten Wolfgang Fritz Haug und Max Horkheimer. Das hat durchaus seinen Reiz, da Haug zwar bekennt, dass man durchaus links sein könne, ohne Marx’ Werk zu kennen. Aber zu Recht darauf besteht: „Wer sich nicht mit Marx beschäftigt, der vergibt sich der Möglichkeit, sein Denken zu schulen.“ Zumal es bis heute keine Analyse des Kapitalismus gibt, die mit der Marx’schen konkurrieren kann.

Ganz anders Horkheimer: Der Vordenker der Frankfurter Schule verteidigt seine kritische Theorie, mit der sich die Gesellschaft analysieren lasse. Er verweigert jedoch seinen Studenten in den Sechzigern die Utopie von einer besseren Welt. Schließlich habe schon Marx vom „Reich der Freiheit“ geschrieben, sich aber davor gehütet, diese Idee auszuführen. (Für Experten: Kapital, 3. Teil, S. 828). Aus dem Ohrensessel seines Büros kritisiert Horkheimer zudem die Verelendungstheorie von Marx, die davon ausgeht, dass der Kapitalismus von sich aus zur Revolution dränge, da sich die Lage der Arbeiter kontinuierlich verschlechtere. So sei es nun nicht gewesen.

Diesen Einwand teilt sogar der Dichter Robert Gernhardt – und wundert sich, warum dann gerade in den Sechzigern die Zeit für eine Revolte gekommen sein sollte. Schließlich ging im Westen Deutschlands alles seinen geregelten Gang. Es habe „Massenbeschäftigung“ gegeben und auch mehr sexuelle Freiheiten. Kurz: „Es war eigentlich die beste Zeit.“ So entspannt hört sich heute eine linke Meinung an.

Heute im SWR (22.30 h), am 18. 2. auf B 1 (22.15 h) und am 16. 4. auf 3sat (21 h). Fortsetzungen im Wochentakt