Die Komplexität der Biederkeit

Unser aller Selbsthassgefühle: „Owning Mahowny“ von Richard Kwietniowski im Panorama erzählte die Geschichte des fleißigen Angestellten Dan Mahowny, der Anfang der Achtzigerjahre seinen Arbeitgeber um 18 Millionen Dollar erleichterte

von BARBARA SCHWEIZERHOF

Es handelt sich um einen wahren Fall: 1982 wurde in Kanada der Bankangestellte Dan Mahowny verhaftet; er hatte sich bei der eigenen Bank über einen längeren Zeitraum hinweg durch Manipulationen mit Kundenkonten Geld verschafft und dieses dann verspielt. So war es ihm gelungen, seinen Arbeitgeber um insgesamt fast 18 Millionen Dollar zu erleichtern. Niemand hätte dem biederen Dan so etwas zugetraut. In der Bank galt er als fleißiger Angestellter, geschätzt wegen seiner kreativen Finanzideen und seiner Begabung für den Umgang mit schwierigen Kunden. Nach seiner Verhaftung stellte sich heraus, dass diese Talente von einer Spielsucht pathologischen Ausmaßes zur Entfaltung getrieben wurden. Er habe, so eine seiner Aussagen mit dem Status trauriger Berühmtheit, seit seinem zwölften Lebensjahr keine drei Tage verbracht, ohne eine Wette zu platzieren.

Mahownys Charakter lässt sich in vertrauten Gegensätzen beschreiben: biedere Fassade und dahinter ein gähnender Abgrund. Man stellt ihn sich vor als äußerlich angepassten, vielleicht sogar etwas hässlichen Angestellten, der seine Unauffälligkeit dafür zu nutzen wusste, eine triebhafte Leidenschaft zu verbergen. Diese Art von Doppelbödigkeit ist das bevorzugte Rollenfach von Philip Seymour Hoffman, dem sympathischsten Unsympathen, den das amerikanische Kino zurzeit hat. Die üblichen Attribute des Antihelden – dicklich, schmierig, ohne Erfolg bei den Frauen – verbindet Hoffman in seinem Schauspiel mit einer Intensität, die ihn auf paradoxe Weise attraktiv macht. Oft ist es die Sympathie der Entlastung, die das Publikum für ihn einnimmt: Unser aller Minderwertigkeitskomplexe und Selbsthassgefühle, Hoffman agiert sie aus.

Wie auch im Wettbewerbsbeitrag von Spike Lee, „25th Hour“, zu sehen, steht die typische Philip-Seymour-Hoffman-Figur nur selten im Mittelpunkt einer Geschichte. Um so mehr freut man sich deshalb, dass ihm mit der Hauptrolle in „Owning Mahowny“ endlich einmal gebührend Ehre erwiesen wird. Regisseur Richard Kwietniowski muss es ähnlich ergangen sein – er räumt seinem Hauptdarsteller fast zuviel Platz ein. In der Rolle des Dan Mahowny, der tagsüber in der Bank und nachts im Kasino zockt, fehlt es Hoffman sichtlich an Reibungspunkten, um die Komplexität von Biederkeit und Monströsität voll zu entfalten.

Die reine Spielhandlung eines Betrugsfalles war Kwietniowski nicht genug. Ausschnitte aus einem Therapiegespräch nach der Verhaftung setzen deshalb im Film entscheidende Zäsuren. An einer Stelle soll Mahowny den Wert des Thrills bemessen, den er beim Spielen fühlt. Die Zahl Hundert gibt er dafür an, gegenüber einer Zwanzig für das Leben abseits von Roulette und Black Jack. Auf die Frage, wie man ein Leben so stark unterhalb einer einmal erlebten Reizgrenze führen kann, antwortet Mahowny nur: Es geht. Sieht man ihn jedoch im Film den Buchmachern hinterherlaufen, darum bettelnd, noch einmal wetten zu dürfen, oder für Stunden wie hypnotisiert am Spieltisch hängen, in der immer gleichen Körperhaltung, scheint dieser Ausstieg aus der Sucht nur schwer vorstellbar.

Mit sanften komödiantischen Spitzen zeigt der Film die Interna der amerikanischen Kasinos, die Mahowny besucht. Als ehrgeiziger Geschäftsführer, der den risikofreudigen Spieler treu an sein Haus binden will, ist John Hurt in einer wunderbaren Nebenrolle zu sehen. Trotz vieler weiterer schöner Momente krankt der Film an einer wesentlichen Unentschiedenheit: ob er die Arbeit in der Bank und das Sitzen im Kasino als Gegensätze oder als Äquivalente beschreiben soll. Gehört doch eine gewisse Spielsucht schon zum Beruf des Bankers – was umgekehrt dem Charisma des Spielers etwas Langeweile beimengt.