Straßgebinde in der Pogrube

Robbie Williams sang „Give Peace a Chance“ und alle, alle wollten das: Die Echo-Preisverleihung im Palais am Berliner Funkturm erstickte am Ende an zu vielen Kategorien und an zu viel Friedenswillen

von CHRISTIANE RÖSINGER

Berlin war am Samstagabend die Hauptstadt der Emotionen. Das behauptete zumindest der Vorstandsvorsitzende der deutschen Phonoverbände in seiner Eingangsrede zur Echoverleihung. „500.000 demonstrierten für den Frieden, heute läuft der Abschlussfilm der Berlinale und der Echo ist eine Demonstration für die Faszination der Musik. Denn Musik ist mehr als eine gebrannte CD.“

Dann kam, was kommen muss, wenn die Tonträgerindustrie beisammen ist, ein langes Wehklagen über sinkende Umsätze und ein verzweifelter Appell an die Politik: Bitte helfen Sie! Um die „Kreativität“ und „Vielfalt“ zu schützen, soll das Urherberrecht erweitert werden, eine 50/50-Quote für deutschsprachige Musik im Radio eingeführt werden.

Was freilich von der deutschen Musikindustrie an Kreativität und Vielfalt zu erwarten ist, zeigte der weitere Verlauf. Frauke Ludewig und Oliver Geissen moderieren in einer unnachahmlichen Mischung von Tumbheit und plumper Vertraulichkeit durch den Abend. Schlüpfrige Witzchen über „Frauen beglücken“ und „für Nachwuchs sorgen“ waren der rote Faden.

Der Auftritt von Robbie Williams sorgt für ein wenig Abwechslung. Robbie hat ein hübsches Dandy-Spazierstöckchen mitgebracht, das er elegant durch die Luft schwenkt und an dessen Ende auch ein Mikrofon befestigt werden kann. „I just wanna feel real love“, singt er, geht ins Publikum und schleckt jungen Frauen mit seiner berühmten Zunge neckisch übers Gesicht. Dann geht die Verleihung leider weiter. Der Drummer von Red Hot Chilly Peppers will originell sein: „I haven’t changed my underwear in six days.“ Der Newcomer-Preis geht an Brosis, die No Angels singen zu viert, da Jessi ja bekanntlich schwanger ist.

Mousse T hat überhaupt keinen Bock auf irgendeinen dämlichen Krieg und sagt es auch. Genauso wie Esther Schweins, die während ihrer Laudatio als großen Akt des Widerstands eine Handtasche, auf der „No War“ steht, zum Publikum hält .

Der Auftritt der Massiven Töne beweist, dass deutscher HipHop noch nie so tot war wie heute. Nena gewinnt in der Kategorie Sängerin national und dankt sich selbst: Danke, Nena.

Avril Lavigne hat jetzt auch eine Ballade und trägt sie vor. Patrick Lindner entschuldigt sich fast für den deutschen Schlager, die Flippers haben es dieses Jahr leider nicht geschafft, Andrea Berg bekommt den Echo. Dann kommt endlich Robbie wieder. Die friedensbewegte Atmophäre des Echos scheint auch ihn angesteckt zu haben, mit „Give peace a chance“ lässt er seinen furiosen Auftritt ausklingen.

Der Abend will nicht enden, unglaublich, dass es so viele Kategorien gibt: Alternative International, Single national, Jazz, Rock Pop International, Danceact, Rocksingle, HipHop, R&B international, Volksmusik, Nationaler Radionachwuchspreis … Eminem gewinnt auch etwas, DJ Ötzi überreicht an die Kastelruther Spatzen.

Die No Angels haben sich umgezogen und tragen jetzt „No War“-T-shirts.“ „Kein Krieg –Think twice before you act“!, ruft Lucy bedeutungsvoll ins Mikro. Unten im Saal will man aus Verzweiflung schon zum Kriegsbefürworter werden, nur um sich von dieser Friedensblase abzusetzen. Dann bekommen Can einen Echo fürs Lebenswerk und die ganze Meute macht sich auf dem Weg zur „Aftershowparty“.

Alle haben sich schick gemacht. Letzter Schrei ist das tiefe Rückendekolleté mit Straßgebinde in der Pogrube. Der Champagner fließt in Strömen, das Büffet wird ständig nachgefüllt, alte Rockgesichter stehen neben noch älteren Betriebswirtschaftlern. Gröni redet mit Campino, Günther Jauch kommt einfach so die Treppe hoch. Alle amüsieren sich und versuchen die schwere Alltagsmühe des Showgeschäfts und Plattenverkaufens im hellen Schein der Feier für ein paar Stunden zu vergessen.