Das Museum als unmoralische Anstalt

Nach langem Schweigen beantwortet die Bremer Kunsthalle Rückgabeforderungen der Erben des Malers George Grosz. Der Stil der Replik ist geprägt durch dröhnende Rhetorik, persönliche Invektiven und falsche Tatsachenbehauptungen. Die umstrittenen Gemälde lagern seit Jahrzehnten im Depot

von BENNO SCHIRRMEISTER

Wenn nichts mehr geht, dann wird es Zeit, im Dreck zu wühlen. Das deutet die offizielle Stellungnahme der Bremer Kunsthalle zur Rückgabeforderung zweier Gemälde durch die Söhne George Grosz’ an. Denn in ihr wird versucht, den Nachlassverwalter des Malers, Ralph Jentsch, mit – strafrechtlich bedenklichen – Falschaussagen über eine Münchner Spedition in ein schlechtes Licht zu rücken.

Zuvor bereits war in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein kurzer Bericht erschienen, der den Bremer Kustoden Andreas Kreul – Sachgebiet: Medaillen, Münzen und Kameen von der Renaissance bis heute, Skulpturen, und, ja, auch für Gemälde des 20. Jahrhunderts – als Quelle nennt. Darin hatte es geheißen, Jentsch habe „Mitte der Neunzigerjahre bereits eine ganze Ausstellung in Paris beschlagnahmen lassen“. Was nicht stimmt, zumindest wenn die im FAZ-Archiv angesammelten Berichte zum Sachverhalt zutreffen. Der jüngste stammt vom vergangenen Dezember. Darin ist die Rede von einer Beschlagnahme durch den Sohn George Grosz’, Peter Grosz, durchgeführt 1991 in New York. Anlass der Berichterstattung war ein Urteil des Supreme Court, das die Rechtmäßigkeit des Vorgangs bestätigt.

Hintergrund der Bremer Propagandaaktivitäten ist die vom Nachlassverwalter bereits im November, im Anschluss an einen Besuch in Bremen schriftlich vorgetragene Forderung, die beiden Gemälde „Pompe funèbre“ (1928) und „Stilleben mit Okarina“ (1931) an die Erben zurückzugeben. Es sind die einzigen Grosz-Arbeiten im Besitz des Museums.

Sie zu verlieren wäre für die Bremer Bürger ein in jeder Hinsicht unschätzbarer Verlust. Denn keiner von ihnen hat die Gemälde jemals gesehen. Es sei denn, er verfügte über intime Kenntnisse der Verliese der Kunsthalle. Hier ruht, geheimnisvoll komponiert, auf Goldgrund gemalt und von der Farbgebung her ein Vorgriff auf die Pop-Art, das abenteuerliche „Stilleben“ seit Anfang 1972. Auf immerhin 23 Jahre Lagerzeit bringt es die makabre, aber künstlerisch naivere Szene eines französischen Sarggeschäfts inklusive Sensenmann.

War die Kunsthalle mit der Prüfung des Anspruchs überfordert? Jedenfalls habe er bis Anfang Februar keine Antwort erhalten, so Ralph Jentsch. Daraufhin beauftragte er die Gebrüder Wetsch GmbH – seit 1869 im Geschäft und damit Deutschlands älteste Kunstspedition – dem Bremer Musentempel einen Telebrief zu übermitteln. Dessen Inhalt: Die Gemälde würden am nächsten Tag geholt.

Die Kunsthalle faxte – nun sehr prompt – die handschriftliche Notiz zurück: „Stehen nicht zum Transport bereit“. Immerhin eine Antwort. „Wie würden Sie denn reagieren“, empört sich Kustode Andreas Kreul, „wie würden Sie denn reagieren, wenn Ihnen plötzlich jemand einen Laster vor die Tür stellt und etwas abholen will.“

Mal überlegen. Wäre es vielleicht klug, ganz, ganz feste gegen dessen Reifen zu treten? So zumindest hat sich die Kunsthalle entschieden. Denn anstatt sich auf die Darstellung ihrer Position zu beschränken, attackiert sie Nachlassverwalter Jentsch persönlich – er habe „dem Künstler und seinen Erben unabsehbaren Schaden zugefügt“ – und außerdem, auch noch das Fuhrunternehmen: „Keinen regulären Kunstspediteur“ habe „der Herr Jentsch“ beauftragt, sondern eben diese obskure Firma. Die wird dann gleich noch in Sippenhaft genommen: Es handele sich um „dieselbe Spedition“ – als hätte es da nur eine gegeben – „die von den Nationalsozialisten mit dem Abtransport der als ‚entartet‘ deklarierten Kunst“ beauftragt worden sei.

Schwer zu prüfen. Fest steht nur, dass die Spedition Wetsch seit Mai 1945 mit alliierter Erlaubnis wieder arbeitet, dass sie im vergangenen Jahr sämtliche Bildertransporte für die Neue Pinakothek in München übernahm. Und, dass sie sich laut Geschäftsführer Ulrich Saul „noch rechtliche Schritte“ gegen das Museum vorbehält. Neben falschen Tatsachenbehauptungen enthält das Dokument aber auch Informationen: Die Forderungen der Grosz-Erben werden als gegenstandslos zurückgewiesen. Auch dort allerdings vernebelt dröhnende Rhetorik eine wackelige Begründung: dass nämlich „der Erwerb“ der beiden Bilder „aus dem Kunsthandel“ in den 70er-Jahren „rechtmäßig erfolgt und nicht zu beanstanden“ sei, hatte nie jemand in Zweifel gezogen.

Problematischer allerdings die als Tatsache dargestellte Behauptung, der bedeutende Galerist Alfred Flechtheim „beziehungsweise seine Erben“ hätten die Gemälde seinerzeit verkauft, und bei der entsprechenden Auktion handele es sich um „einen normalen geschäftlichen Vorgang“. Fakt ist, Grosz hatte Flechtheim etliche Gemälde, bevor er ins Exil ging, in Kommission überlassen. Dessen Kunsthandlung schlossen die Nazis aber bereits 1933. Laut Jentsch konfiszierte der „Wirtschaftsprüfer“ Alfred Schulte dabei einen Teil des Bestandes – darunter auch das „Stilleben mit Okarina“. Spezialisten für vergleichbare Fälle gibt es. Wenn auch nicht in Bremen und nur an einer Hand voll deutscher Museen. Zu ihnen gehört Ute Haug.

Sie leitet die Stelle für Provenienzforschung der Hamburger Kunsthalle. „Eine solche Beschlagnahme“, bestätigt sie, „würde einen Vergleich mit so genannter Beutekunst voll rechtfertigen.“ Etwas anderes sei es mit „Pompe funèbre“. Dieses Gemälde hatte Flechtheim laut Jentsch ins Exil gerettet. Als er in London 1937 starb, waren seine Erben nicht greifbar. Stattdessen aber habe der Amsterdamer Kunsthändler van Miert die Ware ohne Rechtstitel versteigert – als „Nachlass Flechtheim“. Möglich war es dem holländischen Galeristen dadurch, selbst zu bieten. Holland sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht besetzt gewesen, erinnert Haug. Ob die Auktion allerdings nach niederländischem Recht statthaft war, bleibt zweifelhaft: „Die Bilder“, so Jentsch „sind für einen Appel und ein Ei unter den Hammer gekommen.“

Ziel sei nach wie vor eine gütliche Einigung, betont Jentschs Rechtsanwalt Stefan Schlaegel. Auch wenn „das Vorpreschen der Kunsthalle sicher einigermaßen unglücklich war“. Zunächst gehe es darum, alle Beteiligten auf denselben Kenntnisstand zu bringen. „Das macht sich immer gut.“ Dann nämlich, so der Esslinger Jurist, lasse sich besser verhandeln.