Schlacht der Maßkrüge

Dem Regisseur war vage politisch zumute: Lars-Ole Walburg inszeniert den „Heiligen Krieg“ von Rainald Goetz an den Münchner Kammerspielen und verläuft sich allerdings im Szenendschungel

von SABINE LEUCHT

So weit kommt’s noch: dass das Theater sich aus der Finanzmisere an der Bandenwerbung herauszieht wie der Fußball aus der Schmucklosigkeit seiner Stadien. Und dass das auch noch klappt. In München ist es schon so weit: Lauter Großflächenplakate rahmen eine Bühne und tragen ihr doch keinen Mehrwert zu. Wenn Lars-Ole Walburg in der Jutierhalle der Kammerspiele Rainald Goetz’ destruktive Wortkaskaden namens „Heiliger Krieg“ inszeniert, dann hält er dem omnipräsenten Hass des Autors wenig entgegen.

Ein schwarzweißes Götz(en)bild zeigt den jungen Wilden samt dem triefroten Schnitt in der Stirn, den er sich beim Klagenfurter Literaturwettbewerb 1983 selbst beigebracht hat. Das Bild steht ganz kurz auf einem Altar: So viel Demut kann nur schaden.

Es sieht nett und so recht nach München aus, wenn der „Chor der jungen, hübschen Mädchen“ im Dirndl auftritt und das Theater als „Vernichter der Wahrheit“, hirn- und geschichtslos besingt. Doch dass es daherkommt wie Ironie, ist schon das erste Missverständnis eines Abends, der wenigstens besser über sich Bescheid wissen sollte.

Auf Barbara Ehnes’ Marktplatz-Bühne steht barockes Kirchenmobiliar wie übrig gebliebener Kirmeskrempel. Dazwischen brabbeln, keifen und saufen einige Schauspieler. Bier wird verschüttet, zwei Soldaten mit Engelsflügeln ballern ins Leere und im Dunkeln fallen welche wie die Kegel um. Der christliche Gott scheint mit den Exekutoren dieser Welt an einem Strang zu ziehen. Leider nur fehlen dem Theater die Menschen, die darunter leiden könnten.

Aus Sorge über den drohenden Irakkrieg findet in den Kammerspielen derzeit nach jeder Vorstellung eine Lesung statt. Und auch Walburg selbst war, scheint es, vage politisch zumute, als ihm hier bei den Proben zu „Dantons Tod“ der 11. September dazwischenkam. Aus diesem Impuls entstand kürzlich sein vielgelobter „Krieg um Troja“ in Basel, wo der 37-Jährige derzeit Chefdramaturg und ab Herbst Schauspielchef ist. In München aber hat sich der politische Wille im Goetz’schen Szenendschungel verlaufen. Zwar hat Walburg den Wildwuchs etwas gerodet, damit aber auch Teile vom Unterholz zerstört, das aus vielen Bäumen erst einen Wald macht. So hält es seine Inszenierung wie das Computerspiel, das zu Beginn auf der rückwärtigen Leinwand abläuft. Einzelnes gerät ins Visier und: Schuss! Später wird auch auf Bilder Saddams und Bin Ladens gezielt. Treffer aber gibt es keine. „Wovon soll das jetzt gehandelt haben? Als Ganzes?“, fragt Robert Dölles „Bürger“ als wütender Anwalt des Publikums. Da weiß der Text des genialisch hassenden Seniorpartners der Jugendkultur recht gut über sich selbst Bescheid. Für (gutes) politisches Kabarett aber bietet er zu wenig Sinn. Und Walburgs szenische Fantasie schwächelt leider zu sehr, um den Abend als Nummernrevue wenigstens benutzerfreundlich zu machen.

Was war das nur für eine „gute alte Zeit“ 1987, als Hans Hollmann in Bonn unter allgemeinem Applaus die „Krieg“-Trilogie uraufführte, von der „Heiliger Krieg“ nur der erste Teil ist? Konnte man damals mit anspielungsreichen Namen wie Stammheimer und Stockhausen allein schon punkten?

Heute sieht man: Die saufen viel, laut und live („Hau weg die Scheiße!“), und sind mit ihrem „Ach Harald [Juhnke]“ und „Mensch Bubi [Scholz]“-Getue doch deutlich von gestern. Die dritte durchgehende „Figur“ des „Stücks“ heißt Heidegger und hängt viel im Beichtstuhl herum, der auch als Hoteltresen dienen könnte. Heidegger brüllt geschäftstüchtige Parolen in zwei Telefone, bevor er gegen Ende im Krieg-Maschine-Rhythmus-Palaver seinen philosophischen Leisten findet: Wie auch Goetz’ „mündige Bürger“ nichts als ein wandelndes Mundwerk. Ein Wortschießgewehr – ratatatata.

Ganz kurz mal scheint auf, dass hinter jedem Wortfeuerwerk ein Mensch stecken muss: Da legt Jochen Striebeck in einen stillen Warum-und-wozu-Monolog die Gefühlsschattierungen eines ganzen Lebens. Und Hans Kremer, der in dieser Spielzeit schon einige Glanzlichter in eher trüben Inszenierungen setzte, bringt die Oberfläche der linksliberalen Floskelmaschinerie zum Schillern. Auch er jedoch ein Relikt aus einer anderen Zeit, als die „Betroffenheit“ von Waldsterben und Rüstungswahnsinn wenigstens dem Gewissen noch geholfen hat.

Doch der brave Bürger der alten BRD, den der gebürtige Rostocker Walburg mit dieser Inszenierung gerade zu entdecken scheint, ist weder für den Hass von Goetz noch für die Dynamik des Krieges zentral. Das begreift man, als der süße Mädchenchor am Ende nochmal auftritt: in schwarzen Bodys und Springerstiefeln. Eine skandierende, finstere Masse Mensch. Da sehnt man sich ein wenig nach Einar Schleef selig, der davon sicher mehr geboten hätte.