Major Washington

Berlinale? War da was? In amerikanischen Medien fanden kritische US-Stars schlichtweg nicht statt – oder werden, wie Clooney, boykottiert

aus Washington MICHAEL STRECK

Es war eine bizarre Parallelvorstellung. Kongressabgeordnete in der US-Hauptstadt wüteten in bislang nicht gekanntem Ausmaß gegen die „Irakrebellen“ in Frankreich und Deutschland und schrien nach Vergeltung und Strafen, als ungefähr zur gleichen Zeit amerikanische Filmstars auf der Berlinale für ihre Anti-Kriegs-Haltung bejubelt wurden. Doch während beide Szenen jenseits des Atlantik ausgiebig beleuchtet wurden, blendete man das Störfeuer von der Spree hierzulande aus.

Die Washington Post zum Beispiel widmete sich auf einer ganzen Seite Glanz, Glitter und Garderobe ihrer Stars in Berlin, verlor jedoch nicht ein einziges Wort über deren Kritik am Kriegskurs der Bush-Regierung. Geschwiegen wurde auch in allen anderen Mainstream-Medien. Da muss man schon froh sein, dass immerhin die Leser der New York Times zwei Tage später in einem Satz aus einer Agenturmeldung erfuhren, das der diesjährige Goldene Bär dem afghanischen Flüchtlingsdrama „In This World“ des Briten Michael Winterbottom verliehen wurde.

Nun ist es nicht so, dass übereifrige Patrioten in den Redaktionsstuben willentlich den Zensor spielen. Die einschlägigen Blätter und TV-Stationen interessiert es schlichtweg nicht, wenn ausländische Filme Preise gewinnen und was Hollywood-Stars neben dem Laufsteg in Berlin treiben. Sollten sie flammende Friedensreden während der Oscar-Verleihung halten, wäre das eine Titelgeschichte. Außerdem gilt Amerikas konzentrierte Verachtung gegenwärtig Frankreich, nicht Deutschland. Da belässt man es in Berlin bei Partygeflüster und verkündet süffisant, das der amerikanische Film trotz aller politischen Schlammschlachten zwischen Rhein und Oder sehr erfolgreich ist.

Amerikaner, die sich über die einflussreichen Zeitungen und Kanäle informieren, wissen mittlerweile, dass Filmgrößen wie Martin Sheen, Sean Penn, Robert Redford oder Martin Scorsese Kriegsgegner sind. Als Penn vor wenigen Wochen nach Bagdad fuhr, wurde er von der Presse niedergemacht, so dass man sich fragt, ob er je wieder ein Filmangebot bekommt. Prominenten Schauspielern, die sich offen zu ihrer Anti-Kriegs-Haltung bekennen, schlägt zuweilen ein feindlicher und ablehnender Ton ins Gesicht. So rief der ultrarechte Bill O’Reilly in seiner Talkshow im TV-Sender Fox-News zu einem Boykott von Filmen mit George Clooney auf. Und wenn sieben der zehn wichtigsten US-Zeitungen nach jüngsten Studien Bush in seinem Kriegskurs unterstützen, wundert es nicht, wenn die unbequemen Meinungen aufsässiger Stars unter den Tisch fallen.

Dustin im Internet

Ganz anders ist die Reaktion in den unabhängigen US-Medien, die jedoch fast ausschließlich im Internet existieren. Sie lecken sich die Finger nach kritischen Promis. Hier konnte man auch die Erklärungen der Leinwand-Stars in Berlin nachlesen, wie die Rede Dustin Hoffmans. Um endlich das Vorurteil loszuwerden, Onlinemagazine würden weiterhin nur die Ideen „verrückter Liberaler“ vertreten, sind berühmte Schauspieler gern gesehene Verbündete, die trotz Friedensappellen den Persilschein als patriotische Staatsbürger in der Tasche tragen und denen auch ein Texaner gewisse Star-Allüren nachsieht.

Grundsätzlich gilt seit der Machtübernahme der Republikaner im Weißen Haus: Wer in den USA kritische Stimmen lesen will, muss online gehen. Längst hat sich im Internet eine ernst zu nehmende Alternativpresse entwickelt, die mit den etablierten Medien konkurriert. „Washington und die Mainstream-Medien sprechen nicht mehr für Amerika“, sagt Lakshmi Chaudhry vom Independent Media Institut in San Francisco, das das Onlinemagazin „Alternet“ herausgibt. Wie groß das Bedürfnis nach anderen Blickwinkeln in den USA ist, zeigt die monatliche Nachfrage. Vor dem 11. September hatte das Magazin nur 25.000 Leser. Heute sind es eine Million.