Der Sturm im Wasserglas

Sonnenstrahlen und Haarsträhnen, Eiswürfel klirren leise, und niemand weiß, was eigentlich mit ihm geschieht: Christine Jeffs erzählt in ihrem Debütfilm „Rain“ von der bedrückenden Unausweichlichkeit des Erwachsenwerdens

Mutter, Vater, Tochter und Liebhaber sind alle für sich mit der Situation überfordert

Es passiert so wenig, dass es nicht einmal regnet. Zwar hängen die Wolken schwer in der Luft, doch den Figuren in Christine Jeffs Debütfilm „Rain“ bleibt der erlösende Schauer verwehrt. Man schreibt das Jahr 1972, es ist Urlaubszeit, und es gibt wenig zu tun. Die 13-jährige Janey spielt mit ihrem kleinen Bruder Jim tagsüber am Strand, während Vater Ed sich dem Angelsport widmet und Mutter Kate im Garten liegt und trinkt. Abends kommen dann Gäste vorbei, am nächsten Tag beginnt alles von vorn.

Auch als der Fotograf Cady mit seinem Boot ins Leben der Familie geschippert kommt, wird sich nur wenig ändern. Zwar wird Mutter Kate, um sich ihrer Attraktivität zu versichern, mit Cady eine flüchtige Affäre beginnen; zwar wird Janey sich deshalb plötzlich ihrer eigenen Attraktivität bewusst und versucht, mit ihrer Mutter zu konkurrieren; zwar wird Vater Ed seine Machtlosigkeit zu spüren bekommen; zwar wird jemand anderes später dafür büßen – doch nichts von alldem wird von Christine Jeffs zu einer vordergründig dramatischen Familientragödie geschichtet, sondern mit einer bedrückend ruhigen Unausweichlichkeit erzählt, die einem wie das Wetter passiert.

Weil es in „Rain“ wenig Handlung gibt, ist er ein Film, der allein von der Stimmung lebt. Er bezieht sie aus Beiläufigkeiten und Banalitäten, die, zusammengefügt eine Dichte und Tiefe erzeugen, die die Geschichte nicht hat. Und obwohl man von Anfang an ahnt, worauf „Rain“ letzten Endes hinauslaufen wird, möchte man doch wissen, wie Christine Jeffs zu diesem Ende kommt. Es war in diesem Zusammenhang gewiss nicht von Nachteil, dass Christine Jeffs zuvor Werbefilmerin war, und insofern darauf geschult ist, Belanglosigkeiten so zu zeigen, als seien sie hintergründig und interessant. Vor allem die suggestive Kraft der Zeitlupe hat sich in dieser Hinsicht bewährt, besonders, wenn es in „Rain“ darum geht, das Zusammenspiel von Sonnenstrahlen, Haarsträhnen und Wassertropfen besonders effektiv zu inszenieren.

Überhaupt wird Wasser in fast all seinen Gebrauchs- und Daseinsformen gezeigt: als Meer, als Welle, in der Dusche, in der Wanne, zum Würfel gefroren im Whiskyglas klimpernd und im Waschbecken voller Zitronen. Man könnte wohl sagen, dass Wasser in „Rain“ den Zweck einer Metapher erfüllt.

Doch was die Wasser-Metapher letztlich sagt, weiß man nicht. Es trifft sich dabei gut, dass auch die Figuren nicht wissen, wie ihnen geschieht. Mutter, Vater, Tochter und Liebhaber sind alle für sich mit der Situation überfordert, allein der kleine Jim scheint noch mit sich und der Welt zufrieden.

Insofern ist „Rain“ ein Film über das Erwachsenwerden und das Erwachsensein. Anders als Ang Lees vergleichbarer „Eissturm“ kommt Christine Jeffs allerdings nicht auf den Punkt. Ähnlich wie Sofia Coppolas mit „Virgin Suicides“ will sie einen rätselhaften Eindruck hinterlassen. Anders als Coppola muss sie die Rätselhaftigkeit aber nicht ständig betonen. HARALD PETERS

„Rain“. Regie: Christine Jeffs. Mit: Alicia Fulford-Wierzbicki, Sarah Peirse, Marton Csokas, Alistair Browning, Aaron Murphy u. a., Neuseeland 2001, 92 Minuten