„Es gibt auch vernünftige Europäer“

Die deutsche Absage an einen Irakkrieg verändert nachhaltig das Bild Europas in Arabien, sagt der Berliner Korrespondent des Nachrichtensenders al-Dschasira, Aktham Suliman, 32. In Deutschland aber habe man diesen Wandel noch nicht erkannt

von MATTHIAS BRAUN

Manchmal nehmen sie ihn nicht ernst, die deutschen Beamten. Als Aktham Suliman, der seit gut einem Jahr für den arabischen Nachrichtenkanal al-Dschasira aus Deutschland berichtet, sich beim Innenministerium bemühte, wurde er abgewimmelt. Der Minister: „Keine Zeit“. Die Staatssekretäre: „In einer Sitzung“. „Die deutschen Behörden haben unsere Bedeutung noch nicht recht verinnerlicht“, sagt Suliman diplomatisch.

Die US-Amerikaner schon. In der laufenden Irakkrise nutzte Washington den katarischen Sender mehrfach als Podium für Botschaften an die arabische Welt. Donald Rumsfeld und Condaleezza Rice gaben gleich nach dem 11. September 2001 erste Interviews für al-Dschasira. „Die deutsche Zurückhaltung mag auch politische Gründe haben“, sagt Suliman. Wer sich mit Washington überwerfe, der könne mit prominenten Auftritten im größten TV-Sender der arabischen Welt diese Verstimmung allenfalls verstärken, meint der 32-Jährige. Für die rund 35 Millionen arabischen Al-Dschasira-Zuschauer ist die deutsche Haltung zum Irakkrieg daher besonders interessant: „Als Gerhard Schröder während des Bundestagswahlkampfes im letzten Sommer zum ersten Mal ‚Nein‘ zum Irakkrieg sagte, wurde es für uns spannend“, so Suliman. Denn Westeuropa habe unter vielen Al-Dschasira-Zuschauern als prinzipiell antiarabisch gegolten. Die deutsche Haltung werde deshalb „sehr positiv“ aufgenommen und habe das Europabild in der arabischen Welt grundlegend verändert: „Plötzlich hieß es: Es gibt auch vernünftige Europäer.“

Für den langsamen, aber steten Sinneswandel in der arabischen Welt ist Suliman mit zuständig. Denn er bestimmt, was al-Dschasira aus Deutschland berichtet. Bislang alle zwei Tage ist er mit Kurzberichten auf Sendung. Und kommt damit an: „Sie können mit jedem Araber, sei er Gemüsehändler in Amman oder Scheich in Katar, über den israelisch-palästinensischen Konflikt oder die europäische Politik ein langes Gespräch führen“, sagt Suliman. Denn das arabische Publikum sei „sehr stark politisiert“.

In der arabischen Medienwelt nimmt al-Dschasira deshalb eine Sonderstellung ein: „Der Sender leuchtet stark, weil die anderen so finster sind“, macht Suliman Eigenwerbung – aber nicht ganz unberechtigt: Anders als viele staatsgelenkte arabische TV-Stationen nimmt die Redaktion in Katar kein Blatt vor den Mund. „Bisher waren 50 Jahre Emanzipation des Fernsehens an den Arabern spurlos vorübergegangen“, sagt Suliman.

In diesem Umfeld lässt sich auch manch deutsch-arabisches Missverständnis ausräumen. Besonders eingeschlagen hat ein Bericht Sulimans über arabische Naziopfer während des Zweiten Weltkriegs. „Bei uns galt Nazi-Deutschland als Verbündeter“, beschreibt er ein gängiges Stereotyp. Deshalb wurden die jüdischen Holocaust-Opfer oft mit palästinensischen Opfer israelischer Besatzungspolitik aufgerechnet – eine verhängnisvolle und unhistorische Verquickung. „Unser Film hat nicht nur in Nahost Verständnis dafür erzeugt, dass die Deutschen eine andere Haltung dazu haben“, sagt Suliman.

Um auch in der westlichen Welt an Reichweite zu gewinnen, untertitelt al-Dschasira seit kurzem einige seiner Sendungen in englischer Sprache. Allerdings ist dieser Service bisher auf die USA beschränkt (taz vom 3. 1. 03). Europa wird sich aber demnächst durch den englischsprachigen Internetauftritt des Senders informieren können, der derzeit aufgebaut wird. Die leitenden Posten seien schon besetzt, so Suliman.

Er selbst arbeitet noch unter provisorischen Bedingungen. In seinem Büro in der Berliner Friedrichstraße stehen erst seit kurzem Möbel. Archivmaterial für die tägliche Produktion stellt das ZDF zur Verfügung. Mit dem Mainzer Sender besteht ein Kooperationsabkommen, dass den gegenseitigen Zugriff auf Bildmaterial ermöglicht. Bis zu sechs Leute sollen aus dem Berliner Al-Dschasira-Büro demnächst berichten. Damit schließt die deutsche Hauptstadt zu den Dependancen in Paris und Brüssel auf, wo jeweils zehn Mitarbeiter für al-Dschasira berichten.

Doch bevor hier der falsche Schluss gezogen wird, der Sender sei überall dort stark vertreten, wo in der Irakfrage ein US-kritischer Kurs gefahren wird: Das größte europäische Al-Dschasira-Büro arbeitet in London, wo über 20 Mitarbeiter ganze Sendungen produzieren.