Kampf gegen einen Unbelehrbaren

Kenneth M. Pollack sah 1991 als einziger amerikanischer Nahostexperte die Kuwaitinvasion des Irak voraus. Jetzt will er einen Krieg gegen Saddams Regime, um das Land wie einst Deutschland nach 1945 zu demokratisieren. Obwohl er durchdacht argumentiert, übersieht er die wesentlichen Probleme

Die Konstellation von 1938 ist nicht auf das Verhältnis zu Saddam übertragbar

von CHRISTIAN SEMLER

Jeder Gegner der amerikanischen Invasion des Irak, der nicht nur seinem Gewissen folgen will, sondern auch guten Gründen, sollte sich auf das argumentative Säurebad einlassen, das Kenneth M. Pollack mit seinem Buch „The Threatening Storm. The Case for Invading Iraq“ bereithält.

Pollack ist seit Jahrzehnten spezialisiert auf die politischen Verhältnisse im Nahen Osten, beriet mehrere US-Regierungen, sei es als Geheimdienstler, sei es als Wissenschaftler. Sein Sachverstand wird durch die Tatsache unterstrichen, dass er als einziger amerikanischer Experte rechtzeitig die Kuwaitinvasion des Irak voraussagte. Die Erfahrungen mit der Regierungspraxis Saddams wie mit den Resultaten des Sanktions- und Inspektionssystems seit 1991 haben Pollack nun zu dem Schluss gebracht: Nur eine massive, von Landtruppen vorgetragene Invasion des Irak samt anschließender Beseitigung des Saddam-Regimes könne weit Schlimmeres – die Atommacht Irak – verhüten.

Zunächst jedoch rechnet Pollack in einem gesonderten Kapitel ohne Schönfärberei mit Amerikas Rolle zwischen Euphrat und Tigris ab. In diesem Buch finden Kritiker alle wesentlichen Details über die amerikanische Aufrüstung des Irak, einschließlich der Beihilfe der USA und anderer westlicher Staaten oder Firmen zur Herstellung von ABC-Waffen. Und Pollack verschweigt auch nicht, dass US-Regierungen zwei versuchte Völkermorde Saddams (an den Kurden und an der iranischen Armee während des ersten Golfkriegs) geflissentlich übersahen.

Er verzichtet in seiner Argumentation auf einen weiteren untauglichen Versuch, Saddam mit dem Al-Qaida-Terrornetzwerk in eine organisatorische Verbindung zu bringen, wenngleich er eine künftige punktuelle Zusammenarbeit nicht ausschließt. Nicht der Kampf gegen den internationalen Terrorismus rechtfertigt für Pollack eine Invasion im Irak, sondern die Perspektive, dass Saddam binnen weniger Jahre über Massenvernichtungswaffen verfügen wird. Und dass er ohne zu zögern von ihnen als Erpressungsinstrument Gebrauch machen dürfte. So könnte er mit der Drohung, die Ölfelder der arabischen Halbinsel zu bombardieren, territoriale Eroberungen absichern. Er würde nicht einmal davor zurückschrecken, sein Volk in eine atomare Katastrophe hineinzuziehen. Um das zu verhindern, müsse man Krieg führen – zumal verdeckte Operationen zur Beseitigung Saddams unrealistisch seien und die „afghanische Lösung“ mangels einer „Nordarmee“ ausscheide. Hinsichtlich einer Invasion könne es also nicht mehr um das Ob gehen, sondern nur um das Wann. Je eher, desto geringer würden die „humanen und finanziellen Kosten“.

Da sich für Pollack die Eindämmungspolitik (containment) mittels Sanktionen und Inspektoren als untauglich erwiesen hat, gebe es als Alternative zum Krieg nur die Abschreckung (deterrence) – das berühmte Gleichgewicht des Schreckens, das während des Kalten Krieges seine Funktionstüchtigkeit bewiesen hat. Aber dem Regime Saddams fehlten alle die Voraussetzungen, die damals den Ausbruch eines großen Krieges zwischen den Supermächten verhinderten: die Kenntnis der Motive des Gegners, eine realistische Einschätzung der Kräfteverhältnisse und ein nüchterner Blick auf die Optionen. Pollack hält Saddam zudem für beratungsresistent und „den schlechtesten Spieler und Risikoabwäger der modernen Geschichte“. Davon zeugten seine sämtlichen militärischen Unternehmungen seit seiner Machtergreifung.

Pollack stützt seine Argumentation mit einer historischen Analogie, zur Situation bei Abschluss des Münchner Abkommens 1938. Da die Westmächte damals Hitler nicht den Krieg erklärten, mussten sie dieses Versäumnis später mit ungeheuren Menschenopfern bezahlen. Obwohl Pollack bei dieser Analogie Umsicht walten lässt, ist sie völlig falsch. Hitler hatte mit der Besetzung des entmilitarisierten Rheinlandes und der Annexion Österreichs bereits mehrfach internationale Verträge verletzt, seine aggressiven und expansionistischen Ziele lagen offen zutage. Die westlichen demokratischen Staaten fielen ihm nicht in den Arm, weil sie militärisch unvorbereitet waren. Die gesamte Konstellation von 1938 ist nicht auf das Verhältnis zu Saddam übertragbar.

Viel wichtiger ist jedoch: Pollack bedenkt nicht, welche Konsequenzen eine siegreiche Invasion des Irak regional und global nach sich ziehen würde, sondern malt ein Wunschbildchen von einem starken, demokratisch und pluralistisch organisierten neuen Irak aus, der ähnlich wie Deutschland und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg erstehen würde. Es wäre ein Modellstaat mit Ausstrahlungskraft auf die umliegenden autokratischen Regime. Hier rächt es sich, dass der Autor Fragen der Sozialstruktur wie der Mentalität bei den Völkern der Region vernachlässigt.

Eine Invasion dürfte den arabischen Nationalismus befördern

Selbst wenn man ein völlig selbstloses, nur den Idealen der Demokratie verpflichtetes Besatzungsregime voraussetzt (ein Witz angesichts der im Spiel befindlichen ökonomischen Interessen), würde ein von den USA installierter neuer Irak von den arabischen Völkern niemals als selbstbestimmte Nation angesehen werden. Eine Invasion dürfte den arabischen Nationalismus ebenso befördern wie den religiös fundierten Terrorismus. Demokratische Reformen in den autokratisch regierten arabischen Staaten, ob sie nun für oder gegen die Invasion optierten, wären für lange Zeit illusionär, eine Zweistaatenlösung im palästinensisch-israelischen Konflikt ausgeschlossen. Fazit: Man hätte ein Problem gelöst, aber fünf neue am Hals. Und am Ende würde sich selbst die Lösung dieses einen Problems als illusorisch erweisen. Ein neuer Diktator, gestützt auf eine neue militärische Machtelite, ist das wahrscheinlichste Endergebnis.

Es sind genau diese und ein ganzer Sack voll weiterer Einwände, die etwa auch das Carnegie Endowment for International Peace in zwei Studien Ende letzten Jahres gemacht hat. Von ihnen und nicht von einer abstrakten Ohne-mich-Haltung ist auch die bislang ablehnende Haltung der deutschen Bundesregierung geprägt. Solche Einwände kann Pollack mit seiner Vorstellung von einer „rekonstruktiven“ lang andauernden Besatzung nicht entkräften.

Immerhin untersucht er auch summarisch und mit wenig schmeichelhaftem Ergebnis die Irakpolitik der Vetomächte Frankreich, Russland und China, verschwendet aber keinen Gedanken auf die Entwicklung der internationalen Beziehungen im Gefolge einer Irakinvasion. Dass ein Präventivkrieg gegen den Irak unter Führung der USA das internationale Rechtssystem angreifen, dass so die Potenziale der UNO zur Friedenssicherung geschwächt würden, ist für Pollack uninteressant. Seine diesen Problemen gewidmeten Erörterungen bilden den schwächsten Teil seines Buches. Nebenbei und zum Schluss sei noch seine mangelnde Vertrautheit mit der Haltung einzelner EU-Staaten zur Irakinvasion vermerkt. Er vermutet die obstinaten Gegner der US-amerikanischen Politik in den Reihen der Mittelmeeranrainer, während er Deutschland zu den treuen Verbündeten zählt. Aber überall kann man sich ja nicht auskennen.

Kenneth M. Pollack: „The Threatening Storm. The Case for Invading Iraq“,494 Seiten, Random House, New York 2002, 25,64 €