König Ludwigs Volk soll leben

aus Marktoberdorf BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA

Peter Fendt erschrak. Es war auf einer Bürgerversammlung vor anderthalb Jahren, er las einen Bericht mit den Geburten- und Sterbezahlen von Marktoberdorf: Die Geburten in der Kleinstadt mit 18.500 Einwohnern waren leicht rückläufig. Fendt, ein wohlhabender Mann und Vater von drei Kindern, fragte seine Frau, was sie von einer Babyprämie halte. Gar nichts, ließ sie ihn wissen. Also vergaß er die Idee wieder. Als er auf der nächsten Bürgerversammlung wieder vernahm, dass auf 160 Geburtsurkunden 163 Todesscheine kommen, handelte er.

Fendt rief den Bürgermeister an und teilte ihm mit, dass er sich zum 50. Stadtjubiläum etwas ausgedacht habe: Jede Familie soll für ein drittes oder weiteres Kind 1.000 Euro von ihm bekommen. Die Zahlungen sollten diskret übers Standesamt abgewickelt werden. Die Allgäuer Zeitung berichtete von einem anonymen „Nachwuchsförderer“, der mit einem „Begrüßungsgeld“ zur Vergrößerung von Marktoberdorf beitragen wolle.

Gerüchte im „Philosoff“

Zwischen Bahnhof, Rathaus, der katholischen Frauenkirche, dem Riesengebirgsmuseum und den Gaststuben „Zum Hirsch“ und dem „Philosoff“ machten Gerüchte die Runde. Der Name Peter Fendt fiel, dem alteingesessenen Traktorenunternehmen, das bis zum Verkauf vor einigen Jahren an eine amerikanische Firma einer der größten Arbeitgeber im Landkreis war. Geld genug habe der ja.

Kurz nachdem das Prämienjahr begonnen hatte, outete sich Fendt als der anonyme Spender. In der Lokalzeitung verkündete er die Bedingungen seiner Prämie. Die Kinder müssten christlich getauft und mindestens ein Elternteil müsse deutsch sein.

Aufrecht sitzt der 52-Jährige auf einer Bank im Wohnzimmer seines Hauses, auf dessen Fassade drei aufgemalte Pferde daran erinnern, dass das einmal der Dreirösslehof war. Er ist groß und schlank, das Haar ist exakt gescheitelt. Auf der Nase trägt er eine Goldrandbrille. Aus einer Hosentasche schaut die Kette einer Taschenuhr heraus. Vor sich im Aschenbecher hat er eine Zigarre. Bedächtig beginnt er, seine These von der Babyprämie zu erklären. „Die deutsche Frau bekommt im Durchschnitt 1,4 Kinder. Aber damit sich die Bevölkerung erhält, braucht man einen Faktor von 2,1. Dann sind wir aus allem heraus.“

Fendt ist Mitglied der Bayernpartei, der Bezirksvorsitzende für Schwaben und wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher. Die 1946 gegründete Partei fing als bayerisch-partikularistische Protestbewegung an, war sogar im ersten Bundestag vertreten, fristet aber seit fast 50 Jahren ein ziemlich lokales Dasein. Zur letzten Bundestagswahl bekam sie nicht einmal 7.000 Erststimmen.

Fendt will den alten Traum seiner Partei wiederbeleben. Die Abspaltung des Freistaates von Deutschland. Deshalb auch die Babyprämie. „Ich möchte experimentell beweisen, ob die Prämie die Geburtenfreudigkeit signifikant erhöht.“ Viele kleine von ihm gesponserte Bayern für einen großen Freistaat.

Eigentlich ist es gar nicht so, dass Marktoberdorf das Aussterben droht. Im vergangenen Jahr wurden mehr als 30 Babys in Familien geboren, die bereits zwei oder mehr Kinder haben. Doch Fendt will wissen, ob aus den 30 nicht vielleicht 50 werden.

Fendt selbst hat mit seiner Frau drei Kinder im Alter von 3, 14 und 15 Jahren. Ein riesiges Kinderspielhaus aus rotem und grünem Plastik nimmt gut die Hälfte des Wohnzimmers ein, es gibt eine Kinderküche und Plüschtiere. Die Kindersachen konkurrieren mit Bildern von Franz Josef Strauß und König Ludwig II., Bierkrügen mit der Aufschrift „Gutes Bier und junge Weiber“ und einem Herrgottswinkel in der Zimmerecke. Im ganzen Haus steht der Geruch von Peter Fendts Zigarren.

Fendt hat Betriebswirtschaft studiert und betreibt seit zehn Jahren einen Zigarrenversand. Mittlerweile mit einem Umsatz von einer halben Million Euro im Jahr. Mit dem Versandgeschäft versucht er, sich seinen Vorbildern anzunähern: den Gründern von Versandhäusern wie Otto oder Neckermann.

Einer seiner Grundsätze lautet: „Ich mache nichts, was sich nicht rechnet.“ Doch für sein „Experiment“ vergisst der Unternehmer seinen „durchaus gesunden Wirtschaftlichkeitssinn“. Im vergangenen Sommer hat er bei einem Meinungsforschungsinstitut eine Umfrage unter 1.200 Bayern in Auftrag gegeben, was ihm keine Rendite, dafür aber eine für ihn unbezahlbare Erkenntnis brachte. „Ein Drittel war für die Abspaltung.“ Fendt schaut dabei, als sei die Abspaltung Bayerns damit beschlossene Sache.

Die Konditionen für die Prämie begründet Fendt kurz und knapp: Kinder sollen nicht ohne christlichen Glauben aufwachsen, und bei „unseren ausländischen Mitbürgern“ bedürfe es keines finanziellen Anreizes. „Bei denen funktioniert das noch von selber.“ Diskriminierend sei das nicht. Schließlich sei er mit einer Tschechin verheiratet. Und? „Für die Gene der Nachgeborenen ist eine gewisse Durchmischung gut.“

In einem Artikel, den Fendt kürzlich für die Mitgliederzeitschrift der Bayernpartei schrieb, wurde er deutlicher: „Wenn ein Koalitionspartner einer Bundesregierung sich damit brüstet, die wichtigste Errungenschaft seiner Regierungsperiode sei die Einführung der Schwulenehe, und wenn es einem deutschen Bundeskanzler selbst nach vier Ehen nicht gelingt, auch nur ein Kind zu erzeugen, dann ist das deutsche Volk dem Untergang geweiht und wird in 100 Jahren Minderheitenschutz im eigenen Land beantragen müssen.“ Peter Fendt, der Artenschützer.

Dieser ungelenke, steife Mann gefällt sich in der Rolle des Gönners, auch wenn er sagt, dass ihm das Wort nicht gefalle. „Mir ist es durch ein gütiges Schicksal ermöglicht, zu helfen.“ Fendt sagt, dass er gerne „Wohltaten verabreicht“. Hört er von Familien, die seiner Meinung nach ohne eigene Schuld im Kalten sitzen, lässt er den Ölwagen vorfahren. „Wenn man mal oben vor seinen Richter tritt, hat man vielleicht bessere Karten.“ Er zieht an seiner Zigarre und findet schließlich einen Ausdruck für sich selbst, der ihm passend erscheint. „Der gute Mensch von Marktoberdorf.“

Fendt lässt sich nicht beirren. Obwohl er weiß, dass „sich niemand wegen 1.000 Euro schwängern lässt“. Um in Deutschland das Problem der Geburtenrate zu lösen, doziert er, müsste jeder Familie ein „Erziehungsgehalt“ von 1.000 Euro im Monat gezahlt werden. Er glaubt, dass seine Prämie den Ausschlag geben könnte bei Familien, die sich „latent“ mit dem Gedanken an ein drittes oder viertes Kind tragen.

Marianne Kinle ist eine der wenigen, die Kritik an Fendts Prämie übt. Die 54 Jahre alte Musikpädagogin, die vor vier Jahren mit ihrem Lebensgefährten, einem israelischen Musiker, vom Starnberger See in einen Nachbardorf von Marktoberdorf gezogen ist, beklagte in einem Leserbrief die „Ausgrenzung“ nichtdeutscher und nicht christlich getaufter Familien. „Das ist engstirnig und einseitig“, sagt sie. Sie wolle Fendt nicht bloßstellen. „Aber ich will eine andere Meinung entgegensetzen.“

Deshalb will sie 1.000 Euro für ein Kind zahlen, das nicht in Fendts Raster passt. Sehr gefreut hat sie sich, dass sich nach ihrem Leserbrief ein weiterer Spender gemeldet hat. Doch eins wundert sie: „Mein Leserbrief war der einzige. Ich hatte geglaubt, es würde eine Flut von Zuschriften geben.“

Windeln für zwei Jahre

Auch Manuela G. findet es „ungerecht“, einen bestimmten Glauben vorzuschreiben und nichtdeutsche Eltern von der Prämie auszuschließen. Die 30-jährige Hauptschullehrerin gehört zu den ersten drei Müttern in diesem Jahr, die von Fendt 1.000 Euro bekommen. Ihr Sohn Emanuel kam am 13. Januar zur Welt, und er wird, wie auch die vierjährige Tochter und der dreijährige Sohn, getauft werden. Gezeugt wurde er freilich zu einem Zeitpunkt, als Fendts Babyprämie nur in dessen Kopf rumgeisterte. „Wer keine Kinder will, bekommt sie auch nicht wegen 1.000 Euro“, sagt die junge Mutter. Die Prämie nennt sie „eine nette Beigabe“. Allein die Windeln pro Kind und Woche kosten zehn Euro, hat sie ausgerechnet. Mit dem Geld von Fendt könnte sie gerade mal zwei Jahre lang den kleinen Emanuel trockenlegen. Mehr nicht. Manuela G. kann sich vorstellen, ein viertes Kind zu bekommen, in diesem Jahr jedoch auf keinen Fall. Prämie hin oder her. So schnell kann das Fendt’sche Experiment scheitern.

Für den Spender aber gilt das Experiment erst dann als gescheitert, wenn weniger als 40 dritte oder weitere Babys in diesem Jahr in Marktoberdorf geboren werden, die seine Kriterien erfüllen. Ab August wird er dann besonders nach Schwangeren Ausschau halten.