Demos einseitig

Irakische Frauen werfen der Friedensbewegung selektive Wahrnehmung vor. Sie prangern Menschenrechtsverletzungen durch Saddam Hussein an

aus Berlin JAKOB SCHLINK

„Was heißt Krieg? Wir hatten immer Krieg. Ich erinnere mich nicht, im Irak gewesen zu sein, ohne Ängste und Albträume gehabt zu haben.“ Die Frau, die das sagt, weiß, wovon sie spricht. Shirin Aqrawi war lange Zeit im irakischen Widerstand aktiv, verlor mehrere Familienmitglieder durch Saddam Husseins Regime und gehört heute der „Initiative Kurdische Frauen in Bonn“ an.

Gemeinsam mit drei anderen Frauen meldete sie sich gestern auf einer Pressekonferenz in Berlin zu Wort. Initiiert wurde die Veranstaltung durch die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), um die massiven Menschenrechtsverletzungen des irakischen Regimes aus den letzten Jahrzehnten in die öffentliche Erinnerung zurückzurufen.

Alle anwesenden Frauen konnten dazu aus eigener Erfahrung berichten. So zum Beispiel Najat Mahwi, heute Vorsitzende der Organisation „Kurdische Frauen im Exil“ in Berlin. Insgesamt dreimal wurde sie in den 60er- und 70er-Jahren im Irak ins Gefängnis gesperrt. „Ich habe es nicht geglaubt, dass es solche Gefängnisse gibt.“ Es fällt ihr sichtlich schwer, von ihren Erlebnissen zu sprechen. Ihre Stimme wird immer lauter, als sie von einer Kinderdemonstration berichtet: 300 Kinder seien auf die Straße gegangen, um herauszufinden, was mit ihren verhafteten und spurlos verschwundenen Eltern passiert sei. Die Kinder seien alle gefangen genommen worden. Die meisten wurden umgebracht, die übrigen gegen Lösegeld zurückgegeben, nachdem man ihnen die Augen ausgeschnitten hatte.

All diese Gräueltaten sind bekannt und belegt. Dennoch – und da sind sich alle Frauen einig – interessiere sich dafür in Deutschland kaum jemand. „Auf einmal gibt es so viele Menschen, die auf die Straße gehen“, beklagt sich Mahwi in Bezug auf die großen Friedensdemonstrationen am 15. Februar. „Aber wo waren sie, als Halabja bombardiert wurde?“ Die kurdische Stadt Halabja wurde 1988 Opfer eines irakischen Giftgaseinsatzes, bei dem 5.000 Menschen getötet wurden. Auch Shirin Aqrawi hält die aktuellen Friedensdemonstrationen, die sich ausschließlich gegen die Amerikaner richteten, für „eine Mode“.

Die Menschen im Irak hingegen würden einen Regimewechsel sehr begrüßen. Behauptet zumindest Pascale Esho, die Generalsekretärin der Assyrischen Frauenunion im Nordirak. Trotzdem möchte sich keine der anwesenden Frauen festlegen, ob sie einen möglichen Krieg der USA gegen Saddam Hussein begrüßen würde oder nicht. In dem Land lebten schließlich Menschen, die sie lieben und die auch unter einem neuen Krieg zu leiden hätten.

Den anwesenden Journalisten ist das nicht genug. Nach mehreren Nachfragen wird eine junge Reporterin ungeduldig: „Das ist doch eine ganz einfache Frage: Sind Sie für den Einsatz von militärischen Mitteln – ja oder nein?“ Shirin Baqrawi wird daraufhin ebenfalls wütend: Das sei eine Frage, die ihr in Deutschland immer als Erstes gestellt werde. Aber es sei eine ungerechte Frage. „Irak ist wie ein entführtes Flugzeug. Jetzt fragt ihr die Geiseln: Was wollt ihr?“