Gärten in großer Höhe

Daniel Libeskind, Architekt des Jüdischen Museums in Berlin, soll den Platz gestalten, auf dem das WTC stand

aus New York TOBIAS RAPP

Keine spektakulären Doppeltürme. Ein spitzer Finger, der sich in den New Yorker Himmel reckt, wird im Mittelpunkt der Neubebauung von Ground Zero stehen. Gestern gaben die zuständigen New Yorker Gremien bekannt, dass Daniel Libeskind den Auftrag für die Bebauung von Ground Zero bekommen wird. Libeskind galt als Favorit. Jüngst jedoch hatte sich die Lower Manhattan Development Corporation noch gegen ihn ausgesprochen – jene Agentur, die für die Bebauung zuständig ist.

Der Entwurf Libeskinds setzt sich aus zwei Elementen zusammen. Zum einen sieht er den Bau eines 530 Meter hohen Wolkenkratzers vor, eines Gebäudes, dessen Umrisse aus der Ferne an die Freiheitsstatue erinnern. Es soll „Gardens of the World“ heißen, transparent und voller Gärten sein. Zum anderen will Libeskind die so genannte „Badewanne“, jenes riesige Loch, das in Downtown Manhattan klafft, weitgehend so lassen, wie sie ist. Durch ein Museum, das über der Grube hängt, soll man hinabsteigen, um in der Tiefe der Toten gedenken zu können. Zwei Räume – der „Park Of Heroes“ und der „Wedge Of Light“ – sollen jedes Jahr am 11. September schattenlos in eben jenes Sonnenlicht getaucht sein, das schien, als die Türme kollabierten.

Es ist auch ein Kampf der Symbole, der nun entschieden worden ist. Wie liest man die Bedeutung der Anschläge? Die Think-Gruppe, deren Entwurf als zweiter bis zum Schluss im Rennen geblieben war, hatte ihr Design als Wiedergeburt des World Trade Centers angelegt. Zwei 500 Meter hohe Gitterkonstruktionen sollten sich über den Fundamenten des WTC erheben – als World Cultural Center, in das dann Museen, eine Gedenkstätte und ein Theater eingehängt werden sollten. Es war ein Entwurf, der der Zerstörung der Türme mit der Errichtung noch größerer, noch stärker leuchtender Gebäude begegnen wollte, als könne man den Anschlägen durch eine Umwidmung der Gebäude vom Handel zur Kultur einen heilenden Sinn abgewinnen.

Ganz anders Libeskind. Seine Planungen gingen von dem Zustand aus, in dem er den Ort vorfand: als riesige Grube, die wochenlang brannte und in der fast 3.000 Menschen den Tod fanden. Die Betonwände, die Ground Zero heute umgrenzen und die ursprünglich einmal errichtet wurden, um das Wasser des Hudson Rivers davon abzuhalten, in das WTC-Fundament zu laufen, haben die Anschläge vom 11. September erstaunlicherweise unbeschadet überstanden. Für Libeskind sind sie „so eloquent wie die Verfassung selbst für Demokratie und die Werte des individuellen Lebens“. Die 530 Meter Höhe, in die sich der „Garden of the World“ erheben wird, entsprechen 1.776 Fuß – 1.776 war das Jahr, in dem die Vereinigten Staaten ihre Unabhängigkeit erlangten. „Als Teenager bin ich per Schiff als Immigrant nach New York gekommen“, schrieb Libeskind begleitend zu seinem Entwurf, „und wie für Millionen andere vor mir, waren die Freiheitsstatue und die Skyline von Manhattan das Erste, was ich sah. Nie habe ich diesen Anblick und das, wofür er steht, vergessen.“

Ob die Gegend rund um Ground Zero in zehn oder fünfzehn Jahren – mit einer solchen Bauzeit wird gerechnet – tatsächlich einmal so aussehen wird, wie es der Entwurf jetzt vorsieht, ist aber eher unwahrscheinlich. Das liegt zum einen daran, dass niemand weiß, welche Pläne der Immobilienmogul Larry Silverstein verfolgt, der Pächter des World Trade Centers. Zumindest auf dem Papier hat er immer noch das Recht, die alten Türme genauso aufzubauen, wie sie einmal standen. Ihm wird auch die Versicherungssumme für die zerstörten Türme ausgezahlt werden – Geld, das in den Bau der neuen Gebäude fließen wird. Seine Ablehnung aller Wettbewerbsentwürfe ist bekannt, welche Ziele er hat, ist dagegen eher unklar.

Viel dürfte von der Entwicklung der gesamten Gegend abhängen. Als das World Trade Center vor rund dreißig Jahren eröffnet wurde, sollte es nicht zuletzt die Abwanderung von Unternehmen aus Downtown Manhattan nach Midtown stoppen. Ein Ziel, das nicht erreicht wurde, vor allem deshalb, weil die Verkehrsanbindung für Pendler aus den New Yorker Vororten nach Midtown wesentlich besser ist. Stattdessen veränderte sich die Gegend durch die Errichtung der Edel-Plattenbausiedlung Battery Park von einem reinen Geschäftsviertel zu einem Wohnviertel. In den frühen Siebzigern lebten nur wenige hundert Menschen Downtown, mittlerweile sind es einige zehntausend.

Vor einigen Tagen hat nun die Port Authority, die Eigentümerin des Grundstücks, angekündigt, einen riesigen unterirdischen Bahnhof auf dem Gelände errichten zu wollen, um diesen Wettbewerbsnachteil auszugleichen. Das dürfte die urbane Struktur der Gegend mindestens genauso verändern, wie es schon jetzt die Pläne Libeskinds verändert hat. Statt 25 Meter, wie ursprünglich vorgesehen, sollen die Betonwände jetzt nur noch bis in eine Tiefe von zehn Metern sichtbar bleiben. Das nimmt dem Entwurf zwar einiges von seiner Radikalität. Für die Entwicklung der Gegend dürfte der Bahnhof umso nachhaltigere Folgen haben.