zwischen den rillen
: Forschen am Neo-Folk: Cat Power und Folk Implosion

Das Gespenst von Joan Baez

Neo-Folk, das sollte Mitte der Neunziger einmal mehr die Rettung vor peinlich gewordenen Rockismen bieten. Statt Gitarrenverstärker bis zum Anschlag aufzudrehen und die Eier schaukeln zu lassen, wurde lieber wieder zur liebevoll verstimmten Akustischen gegriffen und die Blöße einer Blümchentapete besungen. Manchen wurden die limitierten Möglichkeiten des neuen Genres jedoch schnell öde, und so begannen Bands mit sprechenden Namen wie The Folk Implosion flugs mit der Dekonstruktion – und der Neo-Folk verschwand wieder in die eingeweihten Zirkel, wo die einstigen Pioniere der frühen Tage zu Veteranen altern konnten.

Aus dieser Nische heraus veröffentlicht Chan Marshall mit „You Are Free“ nun bereits ihr sechstes Album. Mitte der Neunziger begann Cat Power als Band, unter der Ägide von Steve Shelley von Sonic Youth. Heute, nach diversen Umbesetzungen, steht ausschließlich Marshall dahinter.

Ihre legendäre Schüchternheit und Unsicherheit, mögen sie nun tatsächliche Macke sein oder geschickt platziertes Image, erheben die asketisch instrumentierten Songs mit ihren nahezu naiv kindlichen Melodien endgültig in den Rang authentischer Dokumente: Mollakkorde auf dem Klavier, eine kränkelnde Gitarre, ein stolpernder Rhythmus: Jedes Lied macht den Eindruck, als fühlte es sich nicht wohl.

Folk ist bei Cat Power lange schon nicht mehr Truppenbetreuung für Hippies und alternde Linke, sondern ein zähes Abarbeiten an genau dieser Tradition.

Die Songs von Cat Power verweigern stets eine allzu einfache Eingängigkeit, sperren sich mit monotoner Wiederholung und sparsam gesetzten schiefen Tönen systematisch gegen althergebrachte Formen. Fast scheint es, als würde der Geist von Joan Baez als Antithese über allem schweben.

Aus dem Widerstand gegen solche Klischees entstehen immer wieder anrührende Momente, die allerdings auf kaum mehr verweisen als auf die altbekannte Tatsache, dass Marshall nicht zu den glücklicheren Menschen auf diesem Planeten gehören dürfte.

Während Cat Power in diesem Leben also nicht mehr aus dem Selbstmitleidssessel zu scheuchen sein wird, hat ein anderer Altgedienter seine persönliche Sackgasse vorerst verlassen: Unter dem Namen Sebadoh zerlegte Lou Barlow mit den Mitteln von Low-Fi-Aufnahmetechniken systematisch Rockklischees, mit der Folk Implosion betrieb er ein nahezu strukturelles Forschen am Folk.

Auf „The New Folk Implosion“ fasst Barlow nun seine beiden bislang stets getrennten Ansätze nicht nur zusammen, sondern verschafft ihnen per Fusion gar eine neue Identität. Man könnte auch sagen: Statt sich in immer neuen Experimenten zu verlieren, rockt Barlow einfach mal los.

Wo Bands wie die Supergroup Loose Fur (Jeff Tweedy und Jim O’Rourke) noch heute den altbekannten Americana-Ansatz zu dekonstruieren suchen, bauen Folk Implosion ganz im Widerstreit zu ihrem eigentlich verpflichtenden Namen plötzlich wieder auf. Ist das jetzt ein verdienter Neuanfang für ein nicht totzukriegendes Genre oder nur das übliche zyklische Auf und Ab? Oder beides? Oder einfach eine gute Platte? Womöglich ja sogar die bestmögliche Platte zu diesem Zeitpunkt?

Ja, das ist sie wohl: voller Melodien, auf die man lange hat warten müssen, voller satter, von sich selbst überzeugter Gitarren, voller gemütlich rollender Bassläufe, kurz: voller Überzeugung, dass die Welt immer noch einen guten Song mehr und ein paar großmächtige Gesten zu viel vertragen kann.

Dessen scheint sich „The New Folk Implosion“ mit jeder Minute immer sicherer zu werden, als würde ihr erst langsam klar werden, dass das, was man da treibt, überhaupt funktionieren kann. Die ersten Songs sind ein noch eher vorsichtiges, sympathisches Tasten im bekannten Arsenal aus Fingerpicking und schweren Rockriffs, die wie ausgestellt wirken: Guckt mal, darum geht’s.

Dann aber tauchen die ersten Lieder auf, die sich nicht vor einem klassischen Songwriting scheuen und manchen Refrain mit Ohrwurmverdacht wagen. Das führt zu Stücken wie „Leaving It Up To Me“ oder „Creature of Salt“, die sich unüberhörbar und ohne Reue einer satten Hard-Rock-Tümelei hingeben, sich glücklicherweise aber auch eben so die folkige Leichtigkeit bewahrt. Das Album wird beschlossen von „Easy“, das nicht nur im Titel an einen Heavy-Metal-Ballade gemahnt.

Das alles, so viel ist schon mal sicher, ist entschieden näher an Pearl Jam als an Joan Baez. Der Sündenfall ist eingetreten: Folk ist nun auch wieder Rock, und damit böse und laut und fies. THOMAS WINKLER

Cat Power: „You Are Free“ (Matador/Indigo); The Folk Implosion: „The New Folk Implosion“ (Domino/Zomba)