Raumpatrouille Helsinki

Einst hatte Jimi Tenor einen richtigen Dancefloor-Hit. Heute versteckt er sich in Spanien, weil ihn dort keiner kennt. Mit seinem neuen Album hat er sich eine kleine, finnische Groove-Enklave geschaffen

„Higher Planes“ klingt streckenweise nach futuristischen Fernsehmelodien

von JENNI ZYLKA

Jimi Tenor lungert in der Ecke des großen Sofas wie eines dieser knautschigen Stofftiere. Er trägt eine Strickjacke mit Rosenapplikationen, eine weite Hose, seine Riesenbrille und an den kleinen Händen einen Ring aus wuchtigem Edelmetall mit seinen Initialen: JT. Ein Angeberring. Er drückt sich eine rosa Wärmflasche an den mageren Musikerkörper.

Kein Zweifel: Tenor sieht aus wie ein echter Popnerd. Als ob man sich mit ihm streiten muss, wenn man mit ihm zu tun hat, als ob man ihn irgendwann anschreit, wenn man länger mit ihm redet. Doch beim Gespräch in einer Wohnung irgendwo im Osten Berlins antwortet er brav auf alle Fragen wie Professor Hastig aus der „Sesamstraße“ – so bedächtig, dass man manchmal denkt, er sei schon eingeschlafen. Später taut er etwas auf.

Zuerst redet er über seine Musik. Dass das einfach Jazzrock sei, was er auf der neuen Platte „Higher Planes“ macht. Jazzrock im harten Siebziger-Sinn: mit opulentem Ensemble, prätentiösen Arrangements, fetten Beats und krachender Schweineorgel. Und dazu, für den Funk, noch schwarz gefärbte Falsettstimmen und Mitsumm-Melodien.

Die neue Platte ist beim kleinen Berliner Label Kitty Yo erschienen, wo vom Aussterben bedrohte Stile sowie noch gar nicht ausgedachte Stile mit etwas Glück gedeihen können. Nachdem Tenor 1994 einen mittelgroßen, vom Techno-erprobten Tanzpublikum viel geliebten Hit hatte („Take me Baby“) und sein nächstes Album bei einer großen englischen Firma veröffentlichte, hat es ihn wieder zurück in die vermeintlich gemütliche Care-Taking-Atmosphäre eines Kleinlabels verschlagen.

Nun hat er eine Platte gemacht, die sich gleichzeitig nach vorn und zurückwendet: Teilweise klingt sie wie 30 Jahre alte Filmmusik, wie der Soundtrack zu „Bullit“ oder einem James-Bond-Film – keinem mit Sean Connery, aber immerhin mit Roger Moore. Ein Effekt, den man von „Out of Nowhere“ kennt, Tenors Who-the-fuck-is-Bernhard Hermann-Album aus dem Jahr 2000, auf dem ein 40-köpfiges polnisches Symphonieorchester mitspielte. Teilweise klingt sie wie futuristische Fernsehmusik, wie das, was bei einer Neuauflage von „Raumpatrouille“ in der Disco laufen würde, wozu sich moderne Spacekids in Erinnerung an Spacefunk wie Parliament wiegen würden.

Soundtrack? Klar, er glaube schon, dass er auch einen Soundtrack machen würde, murmelt Tenor, aber er würde wahrscheinlich zu lange brauchen. Weil er nämlich immer unheimlich lange für seine Platten brauche. Zwischen den Sätzen lacht er etwas irre, was daran liegt, dass sein normaler Gesichtsausdruck eher von freundlicher Apathie geprägt ist, und da erschreckt Mimik immer. Er erzählt, dass sein Gitarrist beim Score der Neuverfilmung von „Ocean’s Eleven“ mitgespielt hat, und lästert ein bisschen über überflüssige Remakes. Und über Madonna, die den Titelsong zum neuen James-Bond-Film gesungen hat. „Es tut weh, ihn zu hören“, sagt er. „Madonna ist wie Nestlé: Man kann ihr nicht entgehen!“

Jimi Tenor dagegen ist wie eine kleine, teure Ökomarke, mit der man sich erst mal anfreunden muss und die man fast nirgendwo bekommt. Er, der eigentlich Lassi Letho heißt (ein mindestens genauso guter Name) und sich nach Jimmy Osmond und seinem Lieblingsinstrument, einem Tenorsaxofon, benannt hat, ist Finne und benimmt sich auch so: Er ist lakonisch, säuft und hat blonde Wimpern. Seit zwei Jahren wohnt Tenor in Barcelona, nach Aufenthalten in New York und London. Am besten an Spanien findet er, dass ihn dort keiner kennt, darum könne er viel mehr arbeiten. Seine Frau, die ebenfalls Musikerin ist, bekommt gerade das zweite Kind, und Tenor denkt darüber nach, ob es bilingual aufwachsen soll. Dann redet er wieder über Musik. Er mag moderne Klassik, liebt Strawinsky und hasst Tschaikowsky. „Tschaikowsky ist der Andrew Lloyd Webber der klassischen Musik“, sagt er, wieder so ein passender Vergleich.

Was Tenors neue Platte mit seinen bisherigen Alben der letzten 15 Jahre verbindet: Sie ist perfekt und virtuos arrangiert, aber trotzdem mit einem Höchstmaß an Improvisation verarbeitet. Eigentlich ein typisches Jazz-Merkmal. Diesmal verlässt er sich allerdings fast nur auf echte Instrumente, weniger auf elektronische Sounds und Soundbearbeitungen.

Die Platte trieft zwar nicht vor Schweiß, aber sie tropft. Tenor, das Fashionvictim mit eigenem Klamottenlabel („Tenorwear“) hat sich damit zwischen allen Acid-Jazz-Funk-Grenzen eine eigene kleine, finnische Groove-Enklave geschaffen. Wenn man Zeit hat, sollte man ihn dort besuchen.

Jimi Tenor: „Higher Planes“ (Kitty Yo!)