Speckgürtel ohne Ende

Berlin liegt in Brandenburg, nicht nur was die Arbeitslosigkeit angeht, sondern auch die Bevölkerungsentwicklung. Und das Umland beginnt, der Hauptstadt über den Kopf zu wachsen

von UWE RADA

Fast hätten wir aufgeatmet. „Nach der großen Abwanderungswelle aus Berlin ins Umland wächst die deutsche Hauptstadt wieder ganz langsam“, meldete das Statistische Landesamt am 12. Februar und zählte 3,39 Millionen Berliner – 3.444 mehr als am Anfang des Jahres.

Stimmt nicht ganz, meldet sich nun der Chef des Amtes zu Wort. „Dieser Trend wird nur vorübergehend sein“, sagt Eckart Elsner. „Bald schon werden die positiven Effekte des Regierungsumzugs zu Ende sein“, resümiert Elsner, der gestern die Bevölkerungsentwicklung Berlins und Brandenburgs in den Jahren von 1991 bis 2001 bilanzierte. Mit anderen Worten: Der Speckgürtel wächst zwar nicht mehr so stark wie 1998, als 30.000 Berliner ihrer Stadt den Rücken kehrten, um sich in Fredersdorf, Falkensee oder Zepernick den Traum vom Reihenhäuschen zu erfüllen. Aber er wächst noch immer. 1999 zogen 25.000 Berliner ins Umland, 2000 waren es 18.000 und 2001 noch immer 14.000.

Elsner räumt bei seiner Bevölkerungsbilanz gleich noch mit einer zweiten Legende auf. „Wer nun glaubt, das alles sei eine nachholende Entwicklung, irrt“, sagt er. „Was das Verhältnis Kernstadt Umland angeht, hat Berlin Städte wie Hamburg oder München längst hinter sich gelassen.“ Damit sei aber auch die im Staatsvertrag zwischen Berlin und Brandenburg festgeschriebene Politik einer „dezentralen Konzentration“ gescheitert. Stattdessen, so Elsner, müsse man von einer „Konzentration der Dezentralisierung“ sprechen.

In der Tat kann von der Stärkung eines Städtekranzes außerhalb des Speckgürtels keine Rede mehr sein. Schwedt und Wittenberge verloren in den vergangenen zehn Jahren ein Viertel ihrer Bewohner. In Cottbus und Frankfurt (Oder) ist jeder Fünfte gegangen. Dass diese „Verluste“ nicht nur in die jeweiligen Speckgürtel gezogen sind, zeigt auch eine Bilanz der Bevölkerungsentwicklung in den brandenburgischen Landkreisen. Hier liegen die Uckermark, die Prignitz und der Oberspreewald-Lausitz-Kreis mit 15 bis 20 Prozent Wegzügen vor den Landkreisen Ostprignitz-Ruppin, Havelland, Oberhavel, Barnim, Teltow-Fläming und Elbe-Elster mit 10 bis 15 Prozent. Gewinne verzeichneten dagegen die Umlandgemeinden. In Fredersdorf stieg die Einwohnerzahl um 65 Prozent, in Falkensee um 59 Prozent und in Zepernick um 56 Prozent.

Wer glaubte, von den Schrumpfungsdiskussionen, die zwischen Ostsee und Thüringer Wald die Diskussionen beherrschen, bliebe Berlin verschont, sieht sich getäuscht. Mit diesen Zahlen ist Berlin nicht nur hinsichtlich der Arbeitslosenquote, die mittlerweile 18 Prozent beträgt, sondern auch demografisch in Ostdeutschland angekommen. Das gilt auch für die Wanderungsziele derer, die es weiter hinaus zieht als bis in Umlandhäuschen. Wie in Sachsen oder Brandenburg zieht es auch die Berliner am liebsten nach Bayern. „Dort findet man entweder Arbeit oder genießt als Rentner den Lebensabend“, sagt Elsner. Weit abgeschlagen folgen Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein.

Wanderungsgewinne erzielt Berlin dagegen mit Niedersachsen oder, wen wundert es, Nordrhein-Westfalen. Den größten Gewinn allerdings markieren die Zuzüge aus dem Ausland. „Ohne Migration hätte Berlin längst eine viel schlechtere Bevölkerungsentwicklung“, sagt Elsner. Er warnt zugleich vor allzu großen Befürchtungen vor einem Massenzuzug aus Polen infolge der Osterweiterung. „Dort liegt die Geburtenrate noch unter der in Deutschland. Und die ist mit 1,2 Kindern pro Frau schon auf dem unteren Niveau in Europa.“