Wer wagt, der verliert

In der Regionalliga kämpfen immer mehr Vereine um die nackte Existenz, in der Zweiten Liga steht fast die Hälfte der Klubs am finanziellen Abgrund. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer

von CHRISTOPH RUF

Ein bitterkalter Nachmittag im Kieler Holsteinstadion. In einem Spiel der Regionalliga Nord führt die Heimmannschaft mit 2:0. Kiels Trainer Hans-Werner Moors dreht sich zur Tribüne um, rudert wild mit den Armen. Doch der Versuch, die Zuschauer zu Freudenausbrüchen zu animieren, bleibt erfolglos. Große Emotionen sieht man in dieser Liga nur selten. Beim Tabellenersten Rot-Weiß Essen strömen die Massen, auch Traditionsclubs wie Dynamo Dresden und der VfL Osnabrück würden Spitzenplätze in der Zuschauertabelle der Zweiten Liga belegen. Repräsentativ ist jedoch die Handball-Hochburg Kiel, wo wieder nur 1.457 Zuschauer zu zählen waren.

Preußen Münster, Dresdner SC, KFC Uerdingen, SC Paderborn – die Liste der Vereine, die allein in der Regionalliga Nord ums nackte Überleben kämpfen, ließe sich lange fortsetzen. Wenn, wie in Uerdingen, auf der Homepage Vereinsvideos aus besseren Zeiten online versteigert werden, kommt das Liga-Insidern schon lange nicht mehr skurril vor. Längst werben Vereine mit einer Banalität für ihre angebliche Bonität: dass pünktlich die Gehälter ausbezahlt werden.

Das Dilemma, in dem die Liga steckt, hat viele Ursachen. Vor allem die Vereine, die höhere Ambitionen haben, investieren Unsummen in ihre Kader, um möglichst schnell wieder an die Fleischtöpfe zu gelangen. Entweder der Kraftakt gelingt oder der Club findet sich binnen kurzem in der Bedeutungslosigkeit wieder. Diese Gamblermentalität ehrgeiziger Vereins-Potentaten wurde in der Vergangenheit durch die millionenschweren Darlehen der Kinowelt-Gruppe um Dr. Michael Kölmel befördert. Nun steht der Filmrechteverwertungsgesellschaft selbst das Wasser bis zum Hals, und fast alle Clubs, die Kölmel unter den Fittichen hatte, gehören zu den Pleitiers des Genres. Das Dilemma scheint ausweglos: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und wer wagt, verliert meist trotzdem. Und dann gleich alles.

Auch für Uwe Wiesinger von Darmstadt 98 ist das Problem ein grundsätzliches, denn Zweit- und Erstligisten seien von den Entwicklungen in der dritten Liga in gleichem Maße betroffen: „Die Kluft zwischen den paar reichen Vereinen, die ums internationale Geschäft mitspielen, und den anderen Clubs wird doch Jahr für Jahr immer breiter“, sagt der Steuerberater, der als einer von zwei Ligasprechern die Vereinsinteressen gegenüber dem DFB vertritt. Daher müssten auch die Vertreter der Zweiten Liga ein Interesse daran haben, die Regionalliga attraktiver zu machen: „Jeder Zweitligist kann absteigen und steht dann vor dem gleichen Dilemma wie wir jetzt schon.“ Etwa 400.000 Euro bekommt jeder Drittligist aus dem Topf der Fernsehgelder, in Liga zwei ist es ungefähr das Zehnfache.

Darüber, dass die Regionalligisten so stiefmütterlich bedacht und als Amateure behandelt werden, könnte sich Uwe Wiesinger stundenlang echauffieren. „Es gibt meines Wissens keinen Verein, wo die Spieler nicht hauptberuflich Fußball spielen. Das sind Profis.“ Dass Spieler, die unter Profibedingungen arbeiten, auch wie Profis bezahlt werden wollen, versteht sich von selbst. Umso wichtiger sind die Zuschauereinnahmen. Und die gehen in den Keller, weil immer mehr „Amateurabteilungen“ von Profivereinen in die Regionalliga drängen. Zu den Heimspielen der Amateure von Leverkusen, Dortmund und Bayern kommen manchmal nur 200 Zuschauer, auch auswärts will die oft mit Bundesligaspielern gespickten Nachwuchsschmieden kein Mensch sehen. „Die Regionalliga lebt von den Lokalderbys. Gegen Offenbach haben wir die Hütte voll, Lauterns Amateure will aber kein Mensch hier sehen“, sagt Wiesinger.

Auch aus rein sportlichen Gründen ist es immer mehr Vereinsvertretern ein Dorn im Auge, dass so viele Profiklubs mit Macht in die Liga drängen. Denn nicht nur Borussia Dortmund kann wesentlich mehr Geld in seinen Nachwuchs investieren, als die meisten Ligakonkurrenten in der Lage wären. Hinter vorgehaltener Hand fällt da schon mal das Wort „Wettbewerbsverzerrung“, zumal auch gestandene Profis wie Lars Ricken, Rudolfo Cardoso oder Colin Benjamin schon in Liga drei die Stiefel schnürten.

So langsam sieht man auch beim DFB ein Problem. Ab der kommenden Saison sollen beide Regionalligen „zentral vom DFB organisiert werden“, kündigt Vizepräsident Engelbert Nelle an. Die Begehrlichkeiten der Profivereine, die „natürlich gerne eine eingleisige dritte Liga hätten“, werden nicht umgesetzt: „Das ist weder im Norden noch im Süden mehrheitsfähig.“ Wenn man den Verbandsfunktionär auf die Finanzprobleme der Liga anspricht, erlischt die Reformfreudigkeit schnell. Wie eh und je behauptet Nelle, die Engpässe seien „hausgemacht“. Allheilmittel sei da eine noch strengere Haushaltsdisziplin.

Dort, wo das Gros der Regionalligisten mit aller Macht hin will, ist Union Berlin schon seit eineinhalb Jahren. Doch auch die Zweite Liga ist längst fest in der Hand des Pleitegeiers. Weil etwa eine halbe Million Euro Fernsehgelder weniger als geplant fließen, forderte Präsident Heiner Bertram von seinen Spielern ultimativ einen Gehaltsverzicht von 20 Prozent. Auch Aachen, Frankfurt, Reutlingen, Mannheim, Braunschweig und Karlsruhe haben Liquiditätslücken, von denen keiner weiß, wie sie bis Saisonende zu schließen sein sollen.

Dass fast die Hälfte der Liga um die nackte Existenz kämpft, ist ein völlig neues Phänomen. So ungewohnt Oberliga-Paarungen wie SpVgg Au/Iller gegen Karlsruher SC oder Reinickendorfer Füchse gegen Union Berlin auch klingen mögen – sie könnten schon in ein paar Monaten terminiert werden.