Das Kunstwerk „Tommy-Haus“

Eine Woche lang Party und Historisches: Das Thomas-Weissbecker-Haus ist eine der letzten linken Geschichten in Kreuzberg und feiert 30. Geburtstag. Das selbst verwaltete Projekt für Treber ist ein Erfolg, macht sich aber Sorgen, wie es 2007 weitergeht

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Wo der Sekt kalt gestellt ist, Häppchen auf den Tabletts liegen, die Musik spielt und alte Freunde aufkreuzen, um zu quatschen, gibt es etwas zu feiern. Das ist überall so – auch im Thomas-Weissbecker-Haus, das in dieser Woche seinen 30. Geburtstag begeht. Und trotzdem ist alles anders. „Das Tommy-Haus wird dreißig? Ick gloob das nicht“, sagt Carlos, ein früherer Bewohner des selbst verwalteten Haus- und Wohnprojekts für jugendliche Treber. Statt gesoffen wird ein Podium aufgebaut und diskutiert. Die revolutionäre Geschichte des Berliner Häuserkampfs der 70er und 80er blitzt in einer Diashow auf. Von der Studentenbewegung über Ulrike Meinhof und das Demo-Gerangel mit Polizei und Staatsapparat bis zu den Ikonen der Besetzerbewegung, dem Rauch-Haus und dem Tommy-Haus, ist alles dabei. Und wer noch immer nicht feiern will zu donnernder Musik, kann sich im Veranstaltungssaal eine Ausstellung „reinziehn“, die alte Bekannte und Feinde des Projekts zeigt und in Zeitungsausschnitten den langen Marsch von der Besetzung 1973 zum Trägerverein Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Berlin (SSB) dokumentiert. Congratulations!

Es wird die ganze Woche im Tommy-Haus gefeiert werden, mit Musik, Ausstellungen, Tango, dem Meinhof-Film „Bambule“ und der großen Abschlussparty am kommenden Samstag in der Hauskneipe „Linie 1“. Und man ist sich im Haus sicher, dass die Fete zu Recht „’ne ganze Woche“ dauert. Selbstbewusstsein muss belohnt werden.

Nadia, Extrebegängerin, die mit rund 40 anderen Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Thomas-Weissbecker-Haus wohnt, sieht es so: „Das ist einmalig in Berlin. Hier wird man einfach angenommen – auch wenn man nachts um 11 vor der Tür steht. Und es wird einem eine Perspektive statt Straße, Heim oder Knast geboten. Ist das nicht ein Erfolg? Ein Erfolg, der auch nach 2007, wenn der Pachtvertrag mit dem Land ausläuft, weitergeführt werden muss?“

Begonnen hat der Erfolg 1973, erzählen Carlos und Tille, der seit ein paar Jahren „Tommy“ ist. Als Reaktion auf die autoritären Heim- und schlechten Lebensbedingen jener Zeit wollten jugendliche Treber sich eine „selbst verwaltete Alternative“ schaffen. Nach der Besetzung des „Drugstores“ in der Potsdamer Straße gelang es, das leere Haus in der Wilhelmstraße 9 vom Land zur Verfügung gestellt zu bekommen. Es folgten Jahre der Unruhe durch staatliche Repressionen wie Hausdurchsuchungen und Übergiffe durch die Polizei, galten doch Haus und Bewohner per se als verdächtig, wenn nicht gar terroristisch.

Im Haus ließ man sich dennoch nicht entmutigen. Die wöchentlichen Plena institutionalisierten Wohngemeinschaftsräume und Treberzimmer, Essenausgaben und eine Verwaltungsarbeit mit dem Ziel der Sanierung des Objekts. 1980 gab es endlich Geld vom Senat, heute steht das Tommy-Haus gar als Kunstwerk mit seinen bemalten Fassaden in den Reiseführern.

Auch im Innern hat man ein Kunstwerk geschaffen, man ist professsioneller geworden. Die hohe Fluktuation von einst, sagt Tille, ist geringer. Die Erfahrungen stabilisieren die selbst verwalteten Macher und Bewohner des Hauses. Gewalt ist tabu, auch wenn es hin und wieder in den drei Wohnetagen kracht. Es gibt viel zu tun – im sportiven Dachraum, den Veranstaltungs- und Kneipenräumen, der Kantine und außerhalb, kostet doch die Unterkunft pro Person über 100 Euro. „Für ’ne Miete gegenüber von der SPD-Zentrale okay“, meint eine junge Punkerin. Ein „bisschen Schiss“ wie es ab 2007 weitergeht, hat sie schon. „Es wird“, sagt Carlos, „aber jetzt wird erst mal gefeiert.“