Sparkultur

DAS SCHLAGLOCH    von MICHAEL RUTSCHKY

Den „lower classes“lag Verschwendung stets in weiter Ferne – sogar das Saufen kostete noch zu viel

Das Hansa-Theater wurde im vergangenen Jahr zugemacht; es eröffnet mit neuem Betreiber. Das Schlossparktheater ist geschlossen, die Neueröffnung ist geplant. Das Theater des Westens wird geschlossen. Der Neubau des Deutschen Historischen Museums von Ieoh Ming Pei wird im Mai eröffnet, für die Ausstattung gibt es aber kein Geld. Der Bau wird im kommenden Winter wohl leer stehen. Dem Tempodrom droht der Konkurs. Der Senat will die Arena an einen privaten Investor verkaufen. Ein letzter Landeszuschuss von 900.000 Euro soll den Betrieb bis Ende Mai sichern. „Süddeutsche Zeitung“ vom 3. März 2003

Geiz ist geil – dass wir hier mehr als eine der rasch vergehenden Reklameparolen vor Augen haben, dass es sich um die Überschrift für ein ganzes Kulturgeschichtskapitel handeln könnte – Länge ungewiss –, mit dieser Einsicht machte uns der Kulturredakteur D. schon früh bekannt.

Ich hielt die geldliche Retention zunächst für ein Verfahren, die Lust am Konsum dadurch zu steigern, dass man sie verzögert. Das Raushauen, die Verschwendung, der Potlatch mögen zwar – wie der ekstatische Theoretiker Bataille lehrt – Grundformen des Lebens selber sein. Aber auf die Dauer entsteht Langeweile über all den Edelklamotten und Opernbesuchen, der Feinfresserei und den Weltreisen – für die lower classes müssen Sie natürlich preiswertere Vergnügungen eintragen, vor allem das schwere Auto, das man so unendlich abbezahlt. Aber auch hier sind die Zeiten der Grundausstattung und der Grundnahrungsmittel längst überstanden.

Wenn die Verschwendung langweilt, wird das Sparen selbst zur Konsumlust. Appetitsteigerung durch Verzicht, ein bewährtes Rezept. Auch kann man sich so seiner Selbstständigkeit versichern: Süchtig sind wir noch nicht nach all den leckeren Sachen, jederzeit können wir aussteigen. In diesem Sinn pflegte sich der Schriftsteller E. periodisch das Rauchen abzugewöhnen – um dann wieder anzufangen. Die erste Zigarette des Rückfalls, behauptete er, schmecke absolut köstlich. Deshalb lohne sich die Abstinenz. Ein Modell, das sich natürlich ohne Abstriche auf die Besuche im Staatstheater und in der Oper anwenden lässt – im Übrigen arbeiten die Damen und Herren Künstler in der Zwischenzeit womöglich an Präsentationen, die uns weniger déjà vu erscheinen?!

Es kommt aber hinzu, dass die Verschwendung im Konsum so oft und so leicht das Schuldgefühl auf sich zieht, das in dieser Gegend ohnedies wie eine schwarze Wolke über allen Lebensäußerungen hängt. Seit Jahrzehnten sorgt das Schuldgefühl dafür, dass in bürgerlichen, inzwischen auch in kleinbürgerlichen Kreisen der Gedanke herrscht, wir verdankten unser Wohlleben der Ausbeutung, mit welcher der Kapitalismus die armen Weltteile unterwirft. Der Kollege M., der bald 60 wird, erzählt anschaulich, wie sein Gymnasiastensohn mit höchster Gefühlsintensität „die Globalisierung“ bekämpft. Unser Wohlleben verdankt sich direkten Raubzügen; wer hier spart, sagt die Traumlogik, nimmt wenigstens den Armen der Welt nicht noch mehr weg. Wenn man hier gräbt, gerät man tief in religiöse Traditionen hinein, von denen schwer zu sagen ist, ob sie Segen oder Unheil bringen.

Ganz anders stellt sich das Sparen dar, wenn man es als ökonomische Initiative betrachtet. Es verblüfft doch, wie viele Leute anscheinend die Offerten der privaten Stromanbieter sorgsam prüfen und nutzen. Einmal habe ich mir auch eine solche Offerte unterbreiten lassen; doch belief sich die Differenz zur Bewag auf eine derart lächerliche Summe, dass ich das Angebot ausschlug. Es muss aber Leute geben, die jene Differenz als Gewinn buchen, wobei nicht nur von Bedeutung ist, wie hoch die Summe ausfällt und wie sie sich zum Einkommen und zum Haushaltsbudget insgesamt verhält. Die bloße Tatsache, dass man überhaupt was sparen kann, erzeugt ein leichtes Triumphgefühl; Geiz schafft Souveränität. Nahmen sie uns nicht die ganze Zeit aus wie die Hühner, die großen Staatsapparate? Diktierten ihre Preise, und wir mussten blechen, denn es gab einfach keine Alternative. Das ist jetzt anders, und wir nutzen es gern, wie gering die Ersparnis auch sein mag.

Derselbe Mechanismus muss Angebot und Nachfrage bei Telefonen und Handys bestimmen; auch hier konnte ich immer nur feine Unterschiede entdecken – die freilich in anderen Kreisen ganz anders eingeschätzt werden; und dass feine Unterschiede sozial und kulturell weit mehr bedeuten als grobe, weiß unsereins doch aus dem Effeff. Auch hier muss die Privatisierung einem Bedürfnis nach Selbstständigkeit und Souveränität zugearbeitet haben, das der staatliche Monopolapparat lange frustrierte. Und wenn es nur Pfennige sind – ich lass mir doch vom Staat nicht vorschreiben, wieviel mich ein Telefongespräch kostet.

Diese Sparkultur, in der das Knapsen ein eigenes Souveränitätsgefühl schenkt, muss sich seit langem entwickelt haben. So pflegt meine Schwiegermutter seit Jahrzehnten morgens im Lokalblatt die Sonderangebote zu prüfen, die sie vielleicht im Lauf des Vormittags für ihre Haushaltseinkäufe nützen könnte. Neulich betrachteten wir eine Schar Rentner, die sich mittels der entsprechenden Tageskarte für Bus und Bahn durch die Stadt bewegte und entlang der Reklamezettel kontrollierte, was in den Billigketten auslag.

Innige Kalkulationen, stelle ich mir vor; jeder gesparte Cent wird als Gewinn verbucht, jedenfalls als innerseelischer. Hierher gehören auch die Schnäppchenmärkte, wie sie teils als Einzeletablissements, teils als Kaufhausetagen existieren.

Klar, hier organisieren sich die lower classes. Ihr ganzes Arbeitsleben verbringen sie in Abhängigkeitsverhältnissen, die ihnen so gut wie keine Gelegenheit zur ökonomischen Initiative bieten. Früher ging man entlang der entsprechenden Strebungen in den Schrebergarten und den Sportverein, heute kann man außerdem auf Schnäppchenjagd gehen. Die lower classes waren von der Verschwendung, die laut Bataille das Leben selber ist, stets weit entfernt. Sogar das Saufen kostete noch viel zu viel.

Ganz anders stellt sich das Sparen dar, wenn man es alsökonomische Initiative betrachtet

Schließlich äußert sich die expandierende Sparkultur aber auch auf ganz anderen Feldern. Dieser außerordentlich subtilisierten Gesundheitsvorsorge beispielsweise, die mittels andauernder Selbstbeobachtung noch eine und noch eine und noch eine Gefährdung ermittelt. Unverkennbar meldet es unsere Freundin U. in einer Art Siegerlaune, welche Allergie als neueste bei ihr entdeckt worden ist.

Auch hier geht es um Ersparnis. Man muss bestimmte Speisen meiden, aber auch Katzen und/oder Hunde. Neulich schaute ich im TV einer jungen Frau zu, die uns – vielleicht nicht in Siegerlaune, aber hoch zufrieden – erklärte, dass ihr Schokolade und andere Süßigkeiten regelmäßig übles Sodbrennen verursachen. Also den Verzehr des Süßen ersparen. Aber nein, sie hörte jetzt von einer Therapie, die sie schrittweise wieder an das leckere Zeug heranführe, und erste Versuche zeitigten schöne Erfolge.

Man kann das als Ersparnis der Ersparnis auffassen. Oder als Umschlag der Ersparnis in Verschwendung, trotz alledem.