letzte ausfahrt brooklyn
: Bonjour tristesse: New Yorker Clubs haben Probleme

Lizenzen zum Rumstehen

Ein merkwürdiges Schild hängt über der DJ-Kanzel der Plant Bar im New Yorker East Village: „Tanzen verboten“. Zuerst denkt man, es sei ein Scherz, schließlich wird hier sieben Tage die Woche Musik aufgelegt, und es scheint sich auch niemand an das Verbot zu halten. Doch weit gefehlt: Tanzen ist tatsächlich verboten, und als vor einigen Wochen Kontrolleure der Stadt Gäste beim Tanzen erwischten, verwarnten sie den Besitzer und brummten ihm eine Strafe von mehreren tausend Dollar auf.

Es stand schon einmal besser ums New Yorker Nachtleben. Man muss gar nicht erst nachfragen, damit einem Ausgehveteranen jeglicher Couleur versichern, all die Gerüchte und Geschichten, die sich um die wilden Partys in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern ranken, seien tatsächlich wahr. Fragt man Leute, die diese Zeit nur vom Hörensagen kennen, beschränken sie sich meistens darauf, die Vergangenheit in leuchtenden Farben auszumalen, die sie aktiv mitbekommen haben wie die späten Achtziger oder die frühen Neunziger. In einem sind sich aber alle einig: Der ehemalige Bürgermeister Rudolph Giuliani sei schuld, dass es heute – nun ja, dass es heute eben nicht mehr so großartig ist wie früher. Damit ist das Thema dann meistens abgehakt, und man wird ausgefragt, ob das Berliner Nachtleben eigentlich wirklich so toll ist, wie immer alle sagen, und ob es wirklich stimmt, dass dort in ganz normalen Bars in aller Öffentlichkeit an der Theke gefickt wird.

Nun glaubt man natürlich alle Horrorgeschichten über die Ägide Giuliani erst einmal gerne; mit seiner Abneigung gegen Kunst, die er obszön fand, machte er sich schon unsterblich, bevor ihm sein Krisenmanagement nach dem 11. September seinen Ort in den Geschichtsbüchern sicherte. Die Schuld an dem grundlegenden Problem kann man Giuliani jedoch nicht in die Schuhe schieben: Jeder Laden, in dem getanzt wird, braucht eine eigene Tanzerlaubnis, die so genannte Cabaret Licence, und die wurde schon 1926 eingeführt.

Damals sollte sie vor allem dem wilden Jazzleben von Harlem einen Riegel vorschieben. Eine Cabaret Licence brauche jeder Laden, so definierte es das Gesetz, in dem „musikalische Unterhaltung, Singen, Tanzen oder andere Formen des Amüsements“ geboten werden, ausgenommen nur Orte, an denen lediglich „gelegentliche“ musikalische Unterhaltung ohne Tanz stattfinde und nicht mehr als drei Musiker auf einmal spielten. Letzteres wurde 1986 gestrichen, da war die hohe Zeit des Jazz auch lange vorbei. Ansonsten gilt das Gesetz bis heute. 1961 wurde es sogar noch einmal verschärft: Neue Lizenzen werden seitdem nur noch für Gegenden ausgestellt, in denen niemand wohnt, und diese Gegenden werden immer weniger, seit Fabriketagen in Wohnraum umgewidmet werden. Seit 1989 werden deshalb auch für die Bezirke SoHo und Tribeca keine Cabaret Licences mehr ausgestellt. Alles in allem ist die Zahl der Läden mit Cabaret Licence von knapp 12.000 im Jahre 1961 auf 276 heruntergegangen. „Vor zwei Jahren waren Manhattan und Afghanistan die einzigen beiden Orte auf der Welt, an denen es verboten war zu tanzen. In Afghanistan kann man jetzt wieder“, klagte unlängst ein Clubbetreiber in der Village Voice.

Aber das ist noch nicht alles. 1990 brach in einem Club in der Bronx ein Feuer aus, und 87 Menschen verbrannten. Daraufhin schickte die Stadt Teams von Polizisten, Feuerwehrmännern und Gebäudeinspektoren herum, die alle Läden der Stadt auf ihre Sicherheit prüften. Und hier kommt dann Giuliani ins Spiel, der diese Trupps regelmäßig nachts losmarschieren ließ, um Läden ohne Lizenz aufzuspüren und zu schließen.

Nun lassen sich das zwar nicht alle Etablissements gefallen. Der Cooler, ein mittlerweile verblichener Club im Meat Packing District, soll etwa einen Knopf am Eingang gehabt haben, auf den der Türsteher drücken konnte, wenn Kontrolleure der Stadt Einlass begehrten. Mit diesem Knopf löste er Alarm aus, und wenn die Ordnungshüter den Laden betraten, lief nur noch leise Musik, und das Publikum stand auf der Tanzfläche herum und unterhielt sich.

Grundsätzlich gibt es aber nur zwei Möglichkeiten, dieser strikten Regulierung zu begegnen: Entweder man investiert unglaublich viel Geld in die Sicherheit seines Clubs und passt auf, dass nicht eine Person mehr hineinkommt als erlaubt. Oder man beschäftigt zwar einen DJ, tut aber so, als ob der Laden ein Ort wäre, an dem gepflegt herumgesessen wird und niemand seine Hüften schwingt, auch wenn die Musik noch so sehr dazu einlädt.

Zwar wurden einige Hoffnungen auf den neuen Bürgermeister Michael Bloomberg gesetzt, die Handhabung dieser Regelungen zumindest ein wenig zu liberalisieren, passiert ist aber bisher noch nichts. Im Gegenteil, dass demnächst in keinem Club mehr geraucht werden darf, geht auf Bloomberg zurück. Der DJ Richie Hawtin, so stand es zumindest im Fachblatt Jockey Slut, will New York demnächst verlassen, um nach Berlin zu gehen. Während dem deutschen DJ Hell nachgesagt wird, er wolle nach New York ziehen. Im Szenemagazin Vice zumindest wird er mit den goldenen Worten zitiert, er müsse das verrückte Europa verlassen und in eine etwas zurechnungsfähigere Stadt ziehen, „somewhere I can relax“. TOBIAS RAPP