Ich gehe in ein anderes Blau

In Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, ist das Filmfestival Fespaco zu Ende gegangen. Es ist das größte Festival des Kontinents, 150 Langfilme wurden gezeigt. Zwischen farbsatten Klischeebildern und sprödem Kunstfilm kommt es zum Richtungsstreit: Wohin bewegt sich das afrikanische Kino?

„Es gibt Bilderohne Geschichtenoder Geschichtenohne Bilder“

von HAKEEM JIMO

Allein wegen der Erdbeeren lohnt sich der Besuch des Filmfestivals in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos. Die kleinen roten Beeren finden sich sonst selten in Afrika – im übrigen Westafrika wahrscheinlich nirgendwo mehr. Aber hier in Ouagadougou wachsen sie zwischen Dezember und März. Dann kühlt der Harmattan-Wüstenwind die Luft. Trocken und warm ist es immer. Aber die einmalige Erdbeerkultur in dieser Region muss auch etwas mit Ouagadougou, kurz Ouaga, zu tun haben. Denn schon wenige Kilometer außerhalb der Stadt wachsen sie nicht mehr – auch nicht woanders im Land. Aus den Vororten entlang des Flusses bringen Marktfrauen die Früchte in die Stadt. Hunderte Straßenhändlerinnen bieten sie an, das Kilo kostet 1,50 Euro. Anstelle von Popcorn essen die Festivalbesucher Erdbeeren in den Kinos. Sieben Tage dauert „Le Festival Panafricain du Cinéma et de la Télévision de Ouagadougou“, kurz Fespaco, alle zwei Jahre findet es statt.

Ein Ort jenseits der Hitze des Tages und außerhalb der Kinos ist das Hotel Independence. Das Dreisternehotel hat seine besten Zeiten hinter sich. Im Foyer stehen noch die abgewetzten schweren Ledersessel. Die Messinganhänger für die Zimmerschlüssel wiegen schwer, sind aber unpoliert und angelaufen. Das Hotel lebt von einem verblichenen mondänen Charme, von der Zeit, als es unter Staatsbesitz auf Hochglanz gehalten wurde. Zu Fespaco-Zeiten wird es zur Backstage des Festivals. Hier logieren die meisten vom Organisationskomitee eingeladenen Gäste. Die Filmemacher der knapp 150 gezeigten Langfilme, die Jurymitglieder und die Techniker. Jeder der offiziellen Fespaco-Gäste bekommt ein Gutscheinheftchen für Essen und Getränke. Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass einer der Besucher des Cafés am Schwimmbad mit dem Festival zu tun hat. Oder einer der Restaurantgäste unter den mit Stroh gedeckten Pavillons gegenüber. An den Souvenirständen stehen sowieso nur Touristen.

Im Restaurant sitzt die Marokkanerin Leila Kilani bei einer Pizza. Ihr Film „Tanger, le rêve des brûleurs“ („Tanger, der Traum der Brandstifter“) wird später den Preis als bester TV-Video-Film gewinnen. Der Film behandelt ein Sujet, das viele Filme des Festivals prägt: Migration. Tanger, die nördlichste Spitze Marokkos, nur zwei Fährstunden entfernt von der Südspitze Spaniens, gilt als Absprungsort tausender Afrikaner ins vermeintlich reiche Europa. Viele Regisseure greifen den Wunsch wegzugehen auf. Aber Migration heißt nicht das offizielle Thema des Festivals. Dem Willen der Organisatoren zufolge geht es um die Rolle der Schauspieler im Entstehen und Fördern des afrikanischen Films.

Ein paar Tische neben Leila Kilani sitzt Moussa Sène Absa, der Regisseur des Spielfilms „Madame Brouette“. Der Film aus dem Senegal lief schon auf der Berlinale vor ein paar Wochen. Nun steht er auch im Wettkampf um den wichtigsten Preis von Fespaco – den „Étalon de Yennenga“, einen goldenen Hengst, auf dem ein Speerwerfer reitet. Moussa Sène Absa lässt sich leicht an seinem afrikanischen Spazierstock erkennen und an seiner traditionellen Pfeife mit dem Tabak aus dänischer Mischung. Sein Film besteht aus wohl inszenierten Bildern aus Dakar. Die Farben leuchten, die Kleider sind sauber und bunt, trotz des Staubs in den Armenvierteln. Armut ist in „Madame Brouette“ romantisch: Menschen bemalen fröhlich ihre windschiefen Baracken mit blauer Farbe. Auch die Rotlichtviertel, in denen ein Gutteil des Films spielt, leuchten gemütlich. Von Aids und vom Uringestank der üblicherweise überfüllten Bordelle keine Spur. Moussa Sène Absa zeichnet ein Afrika, wie man es ertragen kann. Die Protagonistin ist eine resolute, hübsche Frau, die mit einem Schubkarren mal Gemüse, mal Haushaltswaren in den Straßen verkauft. Sie ist deshalb resolut, weil sie es liebt, unabhängig zu sein. Keinem unverantwortlichen Ehemann ausgeliefert wie ihre Freundinnen – bis sie selbst so einem Typen verfällt, einem Schürzenjäger und korrupten Polizisten.

Der Landsmann und Kollege von Moussa Sène Absa gegenüber im Café ist alles andere als erfreut über „Madame Brouette“. Könnte er einen Film verbieten, dann sei es dieser, sagt Moussa Touré. Für ihn hat das nichts mit Afrika zu tun. Für Weiße und ihre Afrikafantasien sei das produziert, sagt er. Sein Film ist anders, dokumentarisch. Keine bunten 35 Milimeter, sondern scharf stechende Videokamera. Touré zeigt in „Nous sommes nombreux“ („Wir sind viele“) das klägliche Leben von allein stehenden Müttern in den Vororten von Brazzaville. In einem nahe gelegenen Wald findet sich für sie die einzige Einnahmequelle: Holzsammeln. Mit einem Berg Feuerholz auf dem Kopf und zwei Kindern auf den Rücken waten die Frauen durch einen Sumpf. Regelmäßig kommt es zu Vergewaltigungen. Als sei das nicht genug, stecken viele der Vergewaltiger ihre Opfer mit dem HI-Virus an. Auf Hilfe vom Staat warten diese jungen Frauen vergeblich, also müssen sie weiter in den Wald.

Zwischen den Filmen „Madame Brouette“ und „Nous sommes nombreux“ spielt sich der Richtungsstreit im afrikanischen Film ab. Idrissou Mora-Kpai, Absolvent der Filmschule in Potsdam-Babelsberg und beninischer Filmemacher, sagt es so: „Der wahre afrikanische Film ist dokumentarisch. Afrikanischer Spielfilm ist französisch.“ Welches Bild von Afrika will man zeigen? Welches kann man zeigen? Nahezu alle Filme im Festival wären ohne Geld aus europäischen Fördertöpfen nicht realisierbar. Es liegt daher nahe, dass sich Spielfilme von europäischen Sichtweisen und Vorstellungen über Afrika nur mit Mühe freimachen können. Lediglich ein paar Filme aus Südafrika kommen ohne europäische Hilfen aus.

Doch finanzielle Abhängigkeit ist eine Sache – inhaltliche Orientierung eine andere. Alain Oyoué, Cineast aus Gabun, bringt den Zustand des afrikanischen Films so auf den Punkt: „Im afrikanischen Spielfilm gibt es Bilder ohne Geschichten oder Geschichten ohne Bilder.“ Ein Bruch müsse her – vor allem bei den dominierenden frankophonen Filmen. Weg von dem Einfluss der Filmkultur Frankreichs, wo die meisten der Filmemacher leben.

Dieser Bruch könnte „Heremakono“ heißen – der Titel des Siegerfilms. Dass dieser Film aus Mauretanien schwierig ist, zeigt schon das Verhalten des Publikums bei der letzten Vorführung im Kino Rialé. Es ist eines der drei nicht klimatisierten Kinos. Im Rialé ist alles echt. Bänke aus Metall, nach einem Drittel der Spielzeit kommen Kinder, Jugendliche und Herumtreiber aus dem überfüllten Marktviertel umsonst rein. Aber an dem Geschenk mochten sich viele von ihnen nicht erfreuen. Der Film ist anders als die Action-Movies und die indischen Liebesgeschichten, die sonst hier laufen. Selbst gegenüber den sich an französischer Nachdenklichkeit orientierenden Spielfilmen aus Afrika wirkt der von Abderrahmane Sissako stoisch: ein Kunstfilm.

In der Einöde der Wüste der Stadt Nouadhibo wird wenig gesprochen. Der Protagonist wartet bei seiner Mutter auf die ersehnte Abreise nach Paris – muss aber einige Zeit in dem abgelegenen Ort verbringen, immerhin der zweitgrößten Stadt Mauretaniens. Er will nicht den traditionellen, hellblauen Boubou tragen – stattdessen lieber Schlaghosen und Hemden aus den 70ern. Das hat wenig mit Stil zu tun. Denn in Mauretanien gibt es kaum was anderes. Die einzige Gefühlsbezeugung des arabisch-stämmigen Protagonisten gilt einer schwarzen Frau – einer Prostituierten. In dem nordwestafrikanischen Land sind das schon eine Reihe von Tabus. Die Gesellschaft wird von den hellhäutigen, arabisch stämmigen Machthabern in einem Apartheidssystem geführt. Aber das sagt der Film nicht – und will es wohl auch nicht. Es laufen mehrere Geschichten parallel. Nichts wird geschönt, doch trotzdem nutzt „Heremakono“ die Mittel des Spielfilms. Vieles bleibt in der Schwebe zwischen Moderne und Tradition, zwischen Gegensätzen in der Gesellschaft, die sich auch anderswo auf dem Kontinent und darüber hinaus finden.

„Wir müssen unsere eigene Form von Spielfilmen finden und überlegen, ob das Blau, das wir vielleicht in Filmen einsetzen, überhaupt ein Blau ist oder viel mehr dahinter steht“, sagtSissakos Kollege Idrissou Mora-Kpai.