Ein Schriftsteller wird privat

Maxim Billers neuer Roman „Esra“ darf vom Verlag nicht weiter ausgeliefert werden

Eine Premierenlesung: Maxim Biller liest aus seinem neuen Romans „Esra“. Langsam füllt sich der Rote Salon der Berliner Volksbühne. Dann tritt der Verleger Helge Malchow vors Publikum und verkündet, die Verbreitung des Buches sei durch eine einstweilige Verfügung gerichtlich untersagt worden. Maxim Biller werde stattdessen eine unveröffentlichte Kurzgeschichte vorlesen. „Ein Promo-Trick“, raunt jemand verschwörerisch im Publikum.

Eins ist klar. Maxim Biller ist ein Autor, der den Skandal nicht scheut. Als Mitarbeiter der Zeitschrift Tempo prügelte er Ende der Achtzigerjahre in seiner Kolumne „Hundert Zeilen Hass“ regelmäßig auf den deutschen Zeitgeist ein – und insbesondere auf das verquere Verhältnis der Deutschen zu ihrer Vergangenheit. Das Thema hat er ausgebaut: In den Kurzgeschichtenbänden „Wenn ich einmal reich und tot bin“ (1990) und „Land der Väter und Verräter“ (1994) und seinem Roman „Die Tochter“ (2000) hat der 43-jährige jüdische Schriftsteller Maxim Biller, der als Kind mit seiner Familie aus Prag nach Hamburg kam, immer wieder gerne mit dem Finger in deutschen Wunden gerührt.

Billers Ton ist scharf, sein Blick mitunter reichlich böse. Und manchmal, auch das ist klar, legt er es auch darauf an, dass es Ärger gibt. Vor drei Jahren zum Beispiel hatten sich in Tutzing eine ganze Reihe jüngerer Schriftsteller versammelt, um über die Situation der deutschen Gegenwartsliteratur zu sprechen. Zoe Jenny war da, Joachim Bessing, Christian Kracht und Rainald Goetz – und Maxim Biller hielt einen Vortrag, in dem er ihnen und vielen anderen Autoren den Vorwurf machte, in ihren Büchern „öde, kompromisslerische, inzestuöse Homogenität“ zu verbreiten. Es folgte ein verbaler Schlag unter die Gürtellinie: „Schlappschwanzliteratur“, so Billers zusammenfassendes Urteil. Die Hasstirade war ungerecht und in zweiten Teilen auch unberechtigt, sorgte aber für Aufmerksamkeit – und dürfte dem Verkauf seines zeitgleich erschienenen Romans „Die Tochter“ nicht geschadet haben. Ein Promo-Trick?

Es steht zu befürchten, dass Biller es mit der „Schlappschwanzliteratur“ damals – wie mit allen anderen Dingen auch – richtig ernst meinte. Maxim Biller ist ein Schriftsteller, der etwas zu sagen hat, und weil ihm Short Stories und Romane im Grunde dafür zu klein sind, braucht er Polemiken, öffentliche Auseinandersetzungen und auch mal richtig Streit.

Den hat er jetzt – und darüber wundern dürfte er sich eigentlich nicht. In seinem neuen Roma „Esra“, in dem Biller eigentlich vom Fluch der Liebe in den Zeiten der totalen Freiheit erzählen will, hat er seine eigene Liebesaffäre mit einer deutschtürkischen Schauspielerin aus München verarbeitet. Nicht nur sie, auch eine Menge anderer Personen dürften sich in seinem Buch nun wieder erkennen – und nicht immer vorteilhaft gezeichnet finden. Vor allem die Mutter der Schauspielerin, eine türkische Professorin und Umweltaktivistin, hat Biller wenig schmeichelhaft porträtiert, indem er sie als streitsüchtige und herrische Person beschrieben hat. Zwei der Betroffenen haben Billers Verlag Kiepenheuer und Witsch nun untersagen lassen, den Roman „Esra“ weiterhin an den Buchhandel auszuliefern.

DANIEL BAX/KOLJA MENSING

kultur SEITE 17