zwischen den rillen
: Soul-Hoffnungsträger: Jaheim und Syleena Johnson

Ghetto Fabulous

Es ist eine dieser Sendungen im US-TV, bei der man nicht so recht weiß, ob man nun abschalten oder fasziniert weiterschauen soll. Auf diversen Kanälen gibt es Varianten davon – am besten ist die auf BET (für Black Entertainment Television), wo sie unter dem Titel „How I’m living“ läuft. Wie der Titel schon sagt, handelt die Sendung davon, wie ein Superstar lebt. Er oder sie empfängt einen gewöhnlich an der Tür der Villa, führt einen durch die Zimmer, ins Fitness-Studio oder zum Billard-Keller. Am Schluss geht es dann meist in die Garage zu den sieben Luxuslimousinen.

Die Sendung ist faszinierend und beängstigend zugleich. Faszinierend, weil man sich wundert, wo denn das ganze Geld bleibt, das so ein Superstar verdient. Beängstigend, weil der glamouröse Lifestyle, der aus den R-&-B-Videos strahlt, aus der Nähe betrachtet alles andere als glamourös daherkommt. Die Villen ähneln sich so sehr, als seien alle vom gleichen Architekten erbaut, und die Möbel kommen einem vor, als seien sie etagenweise beim gleichen Möbeldepot gekauft worden.

Doch: „Ghetto Fabulous“ sei das alles, wird immer wieder betont, wenn eine Aufnahme am Swimmingpool gemacht wird.

Wie jedem popkulturellen Klischee, liegt auch diesem des „Ghetto Fabulous“ eine soziale Praxis zu Grunde – und wenn man sich „Fabulous“ anhört, eins der Stücke auf „Still Ghetto“, dem neuen Album des Soulsängers Jaheim, erhascht man eine Idee davon, wie diese wohl aussehen mag. „We spend up all our dough on them chromie things / Named our kids them funny names“, singt da ein Kinderchor, „we have prepaid cellies for local calls“. Das Geld wird also für fancy Autoradkappen aus Chrom ausgegeben – deswegen ist kein Geld für die Handyrechnung mehr da, und man hat eine Prepaid-Karte, mit der man nur Ortsgespräche führen kann. Jeder ist einzigartig – deshalb heißen die Kinder auch nicht Jack und John, sondern tragen Namen wie Shaniqua oder Trishelle.

Es ist eher selten, dass Soulsänger in ihrer Musik das Ghettoleben zum Thema machen: Eigentlich ist dies eine Domäne, die den Rappern vorbehalten zu sein scheint. Doch während die meisten Rapper in ihrer Ghetto-Vita vor allem den Kampf herausstellen, um Anerkennung, um Einfluss, um Status, um Geld, drehen sich die Stücke von Jaheim (sprich „Dschahiem“) vor allem um das, was die Rapper gerne den Frauen überlassen: Gefühl und Würde.

Da gibt es „Put That Woman First“, die wunderbare Neubearbeitung von William Bells Klassiker „Forgot To Be Your Lover“ oder „Beauty And Thug“, ein Duett mit Mary J. Blige, das von der Liebesbeziehung eines hässlichen Mannes zu einer schönen Frau handelt. Nun ist Jaheim tatsächlich kein besonders gut aussehender Mann. Selbst wenn die Coverfotos noch einigermaßen vorteilhaft sind, schaut er auch hier ziemlich zerknautscht unter seiner Mütze hervor – und das liegt nicht nur daran, dass sich die Spuren des Lebens in sein Gesicht eingeschliffen haben.

Im Unterschied zu den HipHop-Thugs, deren Geschichten auch im weißen Suburbia gerne gehört werden, dürfte Jaheim es mit seiner Version der „Ghetto Fabulousness“ jedoch schwer haben, den Crossover zu Hörern jenseits des Great-Black-Music-Kontinuums zu schaffen: Zu tief ist sein Sound in der Soul-Geschichte verwurzelt. Unter Aficionados wird Jaheim jedoch als die große Hoffnung des Genres gehandelt. Und das reicht in den USA, um über eine halbe Million Alben zu verkaufen.

Syleena Johnson dürfte es mit ihrer Platte „Chapter 2: The Voice“ ähnlich ergehen. Wie der Titel schon andeutet, ist das Album das zweite in einer Reihe, die sie, wie Johnson in einem Interview ankündigte, endlos weiterführen könne. „Chapter 1: Love, Pain and Forgiveness“ hieß er Vorgänger aus dem Jahr 2001. Allerdings lässt sich der konzeptionelle Rahmen von „The Voice“ nur schwer ausmachen: Oder reicht es aus, dass Syleena Johnson in jedem Stück singt, um den Titel zu begründen?

Das ist aber auch schon der einzige Einwand, den man gegen diese wunderschöne Platte geltend machen könnte. Syleena Johnsons Stimme erinnert an Chaka Khan, sie hat fast alle Stücke selbst geschrieben. (Ihr Vater ist übrigens der Soulsänger Syl Johnson, dessen „Is It Because I’m Black“ von 1969 sich seit einiger Zeit in Rare-Groove-Kreisen wieder einiger Beliebtheit erfreut.) Von der Hitsingle „Tonight I’m Gonna Let Go“ bis zu einer Variation über Busta Rhymes „Put Your Hands Where My Eyes Can See“ ist es adult oriented soul music von klassischer Schönheit. Mit „Ghetto Fabulous“ allerdings hat das herzlich wenig zu tun.

TOBIAS RAPP

Jaheim: „Still Ghetto“ (Warner Music) Syleena Johnson: „Chapter 2: The Voice“ (Jive/Zomba)