Die Welt als Diavortrag

Hans-Peter Feldmann ist ein exzessiver Sammler des Alltäglichen. Das hat ihn zum Helden der „Appropriation Art“ gemacht. Nun widmet ihm das Museum Ludwig in Köln eine Retrospektive

In Düsseldorfs Altstadt betreibt Feldmann einen Souvenirladen

von MAGDALENA KRÖNER

Wenn man sich ein typisches Geräusch für Hans-Peter Feldmann denken wollte, so wäre es ein träges, doch präzises metallisches Schleifen mit einem kurzen Klacken am Ende: ein Diaprojektor bei der Arbeit. Ebenso typisch für den 1941 in Hilden bei Düsseldorf geborenen Künstler ist der Laden, den er mit seiner Frau seit Jahrzehnten in der Düsseldorfer Altstadt betreibt. In dem unauffälligen Geschäft gibt es Souvenirs und Mitbringsel wie silberne Bilderrahmen, Brieföffner und Schlüsselanhänger.

Da Feldmann längst internationale Anerkennung genießt, steht heute meist seine Frau hinter der Theke. Nach Barcelona, Paris und Winterthur ist ihm nun auch in Köln eine schlicht „Kunstausstellung“ betitelte, große Retrospektive gewidmet worden. Der Laden, sagt Feldmann selbst, sei viel mehr Kunst als das, was er in Museen zeige. Die akribische Ordnung im engen Geschäft lässt auf den besessenen Sammler schließen. Systematisch, fast pedantisch geordnet reihen sich die Ding aneinander. Keine Frage: hier muss einer der Fülle der Welt Herr werden, da ist kein Platz für dekoratives Präsentieren der Ware. Und in diesen Tagen nun stehen im Schaufenster kleine, bunt bemalte Keramikschühchen für 9 Euro das Stück, säuberlich aufgereiht.

Auch im Kölner Museum Ludwig hat Hans-Peter Feldmann säuberlich Schuhe aufgereiht: jeweils den Linken ließ er von dreizehn Museumsmitarbeitern einsammeln. Sonst sammelt Feldmann vor allem Bilder: Zeitungsausschnitte, Werbefotos, Kitschposter, Landkarten und Lebenserinnerungen fremder Leute, pornografische Fundstücke und prosaische Aussichten aus Hotelzimmern.

Er selbst spricht von einer „exzessiven Fixierung auf Fotos“, die er gern mit vielen teilt – wenn es sein muss, auch in Form mehrstündiger Diavorträge, die für manchen an die Grenzen des Erträglichen gehen. Am häufigsten jedoch zeigt er seine Funde als kopierte Alben oder in Buchform: „Kunstwerke sollten nicht teuer, nicht einzigartig sein, sondern billig und schnell herzustellen. Ein Gemälde bekommt gleich so eine Wichtigkeit, ein Foto ist da viel beliebiger, das kann man auch leichter wieder wegschmeißen.“

Wie mit den Bildern verfährt er auch mit den Dingen des Alltags: ob Plastiktrichter, Einmalrasierer oder Silberlöffel, er misst allem denselben Wert zu und stellt es in Vitrinen oder auf Podesten aus Pappe aus. Er zeigt aber auch Kopien von antiken Statuen, die er als billigen Nippes auf dem Trödel gefunden hat. Er hat sie bunt angemalt und auch einen Schuh mit impressionistischen Tupfen versehen, „wie ein Kind, das überzeugt ist, dass die Welt bunt schöner ist“. Überhaupt gerät in Köln vieles zum Kinderzimmer, ähnlich wie gegenwärtig auch im Frankfurter Museum für Moderne Kunst.

So lässt Feldmann Spielzeugeisenbahnen kreisen und klebt schlecht fotokopierte, bunt bemalte alte Meister wie Sammelbildchen an die Wände. Im Hintergrund steht ein kleinbürgerliches Ledersofa mit akkurat gehängten Reproduktionen historischer Darstellungen von Galeeren auf See. Das Kind im Künstler ist allein zu Haus und tobt sich aus, die Eltern sind nicht da. Die sind wahrscheinlich im Museum, alte Meister gucken.

Dieses beharrliche, ungerührte Lustigmachen über die Idee des Originals, das Konzept musealer Erhabenheit und die Lust an der Kopie haben Feldmann zum Helden der Appropriation Art gemacht. Als er 1980, angeödet vom Kunstmarkt, seine Arbeit für fast zehn Jahre aufgab, befand sich diese Kunstgattung eben in ihrer Entstehung. Sie ahmte nach, was weihevoll in den Kanon der Kunst geschrieben wurde, und plünderte, was alle kennen, bis es im White Cube voll neuer Bedeutung brodelte, sodass der Blick auf Altbekanntes, Zu-Tode-Gesehenes wieder blank geputzt wurde. Als Feldmann 1989 zurückkehrte, mit einem Album mit Fotos von einer Reise mit seinem Sohn, wurde er zu ihrem deutschen Helden.

Feldmanns Alltäglichkeiten breiteten sich rasch im Kunstbetrieb aus, zunächst in Form von Bildserien: „Ein Einzelbild ist viel zu unscharf. Erst die Serie macht deutlich, worum es eigentlich geht.“ So beobachtete er Frauen beim Fensterputzen oder Telefonieren oder in 36 Einzelbildern ein Schiff, das den Rhein entlangfährt. Er hängte „alle Kleider einer Frau“ auf den Bügel oder zählte fotografisch die Autos, die eine Straße entlangfuhren. Dabei war es ihm im Versuch, das „Flüchtige zu fixieren“, durchaus ernst, wenn er Flugzeuge oder Möwen fotografierte, die zufällig über ihn hinwegflogen oder Autoradios, in denen gerade schöne Musik lief.

Zwar gibt es in seinen Bildern, wie er stets betont, keine „Morde, keine Unglücke, keine Toten“, aber das stimmt nur zum Teil. Sie tauchen sehr wohl auf, zum Beispiel wenn Feldmann eine „tausendmal durchgesprochene Geschichte“ wie die des Terrorismus im Deutschland der 70er-Jahre neu beleuchtet, aus einer „zutiefst menschlichen Perspektive“. Für „Die Toten“ hat Feldmann Bilder der Täter und der Opfer der RAF versammelt.

So lässt sich wohl auch der für die Kölner Schau unternommene Versuch lesen, drei Zellen aus der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf originalgetreu nachzubilden, um die selbst gemachten Bildwelten der dort inhaftierten Frauen zu zeigen.

Zunächst irritiert die detailgenaue Rekonstruktion aus Pappmachée, weil sie den Haus-der-Geschichte-Effekt zu verströmen scheint. Doch dann folgt der Eintritt ins Reale: Fotos von Familie und Freunden, Sehnsuchtsbilder, Sonnenuntergänge, auf Seidentücher gepinnt, bunte Blumen und Hymnen auf die Heimat bei Frauen aus Brasilien. „Das Bild ist das einfachste Mittel, um aus der Welt zu fliehen“, sagt er. Und das funktioniert im Museum ebenso wie einer Gefängniszelle.

Bis 15. Juni, Katalog „272 Pages“, 35 €