Die Heiligen Drei Könige und das Morgenland

Die osteuropäischen Intellektuellen Václav Havel, Adam Michnik und György Konrád haben sich für einen Krieg gegen den Irak ausgesprochen

Václav Havel, Adam Michnik, György Konrád – drei Aktivisten der demokratischen Bewegung im niedergehenden Realsozialismus. Aber auch drei Denker, die kraft ihrer Orginalität und Unabhängigkeit in den vergangenen zwei Jahrzehnten profunden Einfluss auf die westlichen Intellektuellen ausübten.

Auf unterschiedlichen Wegen gelangten sie zu Einsichten, die den demokratischen Umbruch von 1989/90 prägten: die Revolution sollte in friedlichen Bahnen verlaufen, die realsozialistischen Machthaber nicht aufs Schafott, sondern in die Rente schicken. Der demokratische Staat sollte auf der Basis einer vielgestaltigen, selbstbewussten „Civil Society“ errichtet werden, deren Selbsttätigkeit den demokratischen Prozess garantierte. Der Friede aber sollte mehr sein als Abwesenheit von Krieg. Frieden und Menschenrechte galten den dreien als unteilbar.

Das Jahrzehnt des harten Übergangs zu kapitalistischer Marktwirtschaft und Demokratie stellte die drei vor unterschiedliche Aufgaben, konfrontierte sie mit den Härten der Realpolitik, aber tötete nicht ihren kritischen Impuls. Sie bestanden darauf, dass es gerade die „totalitäre Erfahrung“ war, die sie für eine an universellen Menschenrechtsstandards orientierte Politik sensibilisierte.

Jetzt haben Konrád, Michnik und Havel unabhängig voneinander in der Öffentlichkeit zugunsten der amerikanischen Irakpolitik und zugunsten des Krieges interveniert. Havel mehrfach, zuletzt in der jünsten Nummer des New Yorkers gegenüber dem Journalisten David Remnick, Michnik in der Auseinandersetzung mit dem französischen Freund und Journalisten Bernard Guetta, Konrád in einem in der FAZ publizierten Essay. In dem, was sie sagen (und was sie nicht sagen), weisen die drei Stellungnahmen bei differierenden Ausgangspunkten eine so frappierende Ähnlichkeit auf, dass man sie als Ausdruck ein und derselben Denkungsart verstehen muss.

Im Zentrum der Argumentation steht die Befürchtung, die euro-atlantische „Wertegemeinschaft“ werde zerbrechen, wenn das französisch-deutsche Nein zur amerikanischen Invasion des Irak Bestand haben sollte. Den USA wird dabei historisch bescheinigt, dass nur ihre Intervention in Europa den Faschismus besiegt, nur ihre Standhaftigkeit im Kalten Krieg Europa gerettet und nur ihre fortdauernde militärische und politische Präsenz auf dem alten Kontinent den Völkern Osteuropas schließlich die Freiheit gebracht habe. Zugespitzt meint Konrád, dass ohne die angelsächsischen Mächte Europa heute entweder nazistisch oder kommunistisch beherrscht wäre. Umgekehrt hätten die europäischen Demokratien stets dazu geneigt, den totalitären Gegner zu beschwichtigen, so gegenüber den Nazis in München 1938, oder ihn gar zu stärken, so gegenüber den Realsozialisten nach der Zerschlagung der Solidarność in Polen 1981.

Dreierlei ist für diese Argumentation charakteristisch. Historische Lehren werden selektiv gezogen und schablonenhaft eingesetzt – weshalb aus der Geschichte der amerikanischen Interventionen nach 1945 solche Kleinigkeiten wie der Vietnamkrieg oder die ständigen Militärinterventionen in Lateinamerika ausgeblendet werden können. Der transatlantische Wertehimmel ist zweitens stets vorgegeben und abstrakt. Weshalb jeder noch so flüchtige Blick auf reale Interessen der Akteure unterbleiben kann. Da Freiheit und Demokratie immer schon vorhanden sind, muss nicht gefragt werden, ob die Politik der Bush-Regierung im eigenen Land Grundrechte untergräbt und dem humanitären Völkerrecht den Garaus macht. Die demokratische Mission, die man den USA im Irak attestiert, wird im Bezug auf die autokratischen, mit den USA verbündeten Regimes im Nahen Osten nicht ein einziges Mal auch nur gestreift. Drittens und wichtigstens: Nur Politiker und Militärs bevölkern die Szene. Die Kriegsgegner in Europa werden als blinde, manipulierte und selbstsüchtige Masse porträtiert. Dass es vor allem die „Civil Society“ ist, die auch in den demokratischen Ländern moralische Standards verteidigt und neue Werte hervorbringt, diese vom Dreigestirn früher so nachdrücklich vorgebrachte Einsicht – sie ist verschwunden.

Die Überzeugungskraft der ostmitteleuropäischen Demokraten nährte sich einst von der Vorstellung einer universellen Geltung der Menschenrechte, die der konkreten Politik als Richtschnur gelten sollte. Nicht im Sinne einer Utopie, sondern als stets wirksame regulative Idee. In den Stellungnahmen von Havel, Konrád und Michnik ist die Berufung auf Freiheit und Demokratie zu einer ideologischen rhetorischen Figur herabgesunken. Der Stachel der Irritation ist gezogen, die Beunruhigung darüber, dass auch demokratische Systeme auf die schiefe, totalitäre Bahn geraten können, verschwunden.

Die einst kritischen Intellektuellen verbrämen mit der Beschwörung des transatlantischen Wertekonsenses zugleich eine vorgebliche Staatsräson ihrer Länder. Plötzlich ist vom „euro-atlantischen Block“ die Rede und geopolitische Doktrinen, noch immer die Domäne des nationalistischen Diskurses, beherrschen das Feld. Die unbestechlichen Kritiker von einst posieren als organische Intellektuelle des „Neuen Europa“, das sich auf die Seite der Sieger stellen will. Noch ein Kapitel aus der trahison des clercs.

CHRISTIAN SEMLER