Ein Ausweg aus der Kriegslogik

Frankreich, Russland und Deutschland müssten mit einer grundlegenden Alternativ-Resolution Bush und Blair im Sicherheitsrat Brücken bauen. Ein Vorschlag

Es gibt gute Gründe gegen einen UN-Eingriff in die „inneren Angelegenheiten“ eines Landes ...... aber ist ein solcher Eingriff im Falle des Irak nicht das kleinere Übel verglichen mit Krieg?

von ANDREAS ZUMACH

Ein Krieg gegen Irak ab Mitte März scheint unvermeidlich. Schon morgen wollen die USA und Großbritannien im UNO-Sicherheitsrat in New York die Abstimmung über den Entwurf ihrer Kriegsresolution herbeiführen, die Bagdad ein Ultimatum bis zum 17. März setzt zur Erfüllung sämtlicher Auflagen der Resolution 1441 vom November letzten Jahres. Dieser Entwurf wird nicht die zu einer Annahme erforderliche Mehrheit von 9 Stimmen erreichen und zudem auf ein Veto mindestens eines, wahrscheinlich sogar aller drei ständigen Ratsmitglieder Frankreich, Russland und China stoßen. Diese Prognose, die auch Bundesaußenminister Joschka Fischer am Wochenende äusserte, ergibt sich aus den Erklärungen zahlreicher Ratsmitglieder während und seit der Ratssitzung vom letzten Freitag. Im Fall eines Scheiterns des Resolutionsentwurfes werde der Krieg gegen Irak möglicherweise bereits vor dem 17. März beginnen, ließ die Bush-Administration am Wochenende durchblicken. In bisherigen amerikanisch-britische Planungen wurde die Nacht vom 13. auf den 14. März als frühester Termin für den Beginn von Luftangriffen und der 17. März als Datum für die Invasion von Bodentruppen genannt.

Doch solange der Krieg nicht wirklich begonnen hat, ist er noch vermeidbar. Dazu wäre es allerdings erforderlich, dass die erklärten Kriegsgegner im Sicherheitsrat – Frankreich, Deutschland, Russland und China – sich jetzt nicht auf das Gefeilsche über die Verlängerung des von Washington und London gesetzten Ultimatums 17. März um ein paar wenige Tage beschränken. Stattdessen müssten sie umgehend, möglichst gemeinsam und im besten Fall sogar mit weiteren Ratsmitgliedern als Sponsoren (in Frage kämen dabei Syrien, Pakistan, Mexiko, Chile, Kamerun, Angola und Guinea) den Entwurf für eine Alternativresolution vorlegen. Eine Alternativresolution, deren Text George W. Bush und Tony Blair die Brücke baut für ein Abrücken von ihren unmittelbaren Kriegsplänen, und die es ihnen erlauben würde, die in der Resolution vorgezeichnete umfassende Lösung des Irakkonflikts als Erfolg ihrer Politik darzustellen.

Um dieses zu leisten, darf sich eine Alternativresolution nicht darauf beschränken, lediglich die Voraussetzungen, Instrumente und realistischen Zeiträume für eine friedliche Entwaffnung Iraks und die Erfüllung der Resolution 1441 zu beschreiben, so wie das in dem französisch-deutsch-russischen Memorandum vom 24. Februar dieses Jahres geschehen ist. Eine Alternativresolution muss, um Erfolg zu haben und einen Krieg noch abwenden zu können, auch diejenigen Ziele thematisieren, die Washington und London unilateral proklamiert haben und zu deren Erreichung sie den baldigen Krieg fälschlicherweise für das geeignete Mittel halten: Beendigung der Diktatur Saddam Husseins, Demokratisierung des Irak und Durchsetzung der Menschenrechte.

Es gibt sehr viele gute Gründe gegen eine Einmischung des UNO-Sicherheitsrates in die „internen Angelegenheit eines souveränen Mitgliedslandes“ der UNO: grundsätzliche völkerrechtliche Argumente und politische Bedenken wegen der Selektivität, mit der eine derartige Einmischung des Sicherheitsrates seit Ende des Kalten Krieges erfolgte – so in Jugoslawien, Kambodscha, Somalia, Indonesien/Osttimor – oder eben nicht erfolgte wie z. B. bei Problemen in der Türkei und in Saudi-Arabien, im Konflikt Israel/Palästina oder auch im Fall des Tschetschenienkonflikts in Russland – je nach Interessenlage oder gar eigener direkter Betroffenheit führender Mächte des Sicherheitsrates.

Dieses Glaubwürdigkeitsproblem des Sicherheitsrates stellt sich im konkreten Fall des Irak besonders scharf: wegen der erheblichen Mitverantwortung der USA und der anderen vier ständigen Ratsmitglieder (wie auch Deutschlands) für die Schaffung und die Stabilisierung der Diktatur Saddam Husseins seit Mitte der 70er-Jahre, für die militärische Aufrüstung dieser Diktatur und damit auch für die von ihr begangenen Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschheit.

Gegen diese Bedenken lässt sich zunächst grundsätzlich einwenden, dass die Durchsetzung der Menschenrechte ein Ziel ist, dem schon in der Präambel der UNO-Charta von 1945 nahezu gleichrangige Bedeutung zugemessen wurde wie der „Bewahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit“. Soll es weiterhin Bush und Blair überlassen bleiben, das Ziel der Durchsetzung der Menschenrechte im Irak zur Begründung für einen Krieg zu missbrauchen? Wer dies nicht will, muss Wege aufzeigen, wie dieses Ziel ohne militärische Gewalt zu erreichen ist.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob Irak seit Ende des Golfkrieges von 1991 tatsächlich noch ein „souveräner Staat“ ist. Zur Definition dieses Begriffes gehört, dass eine Regierung tatsächlich die Hoheit über das gesamte Territorium des Staates und die Regierungsgewalt über die gesamte Bevölkerung ausübt. Das ist seit der Schaffung der beiden „Flugverbotszonen“ im kurdischen Norden überhaupt nicht und im schiitischen Süden nur noch sehr eingeschränkt der Fall.

Die Kritik, dass es für die Schaffung dieser Zonen keinerlei völkerrechtliche Grundlage gab, und dass ihre militärische Durchsetzung durch Luftstreitkräfte der USA und Großbritanniens ein seit zwölf Jahren anhaltender schwerer Verstoß gegen die UNO -Charta ist, ist zwar richtig und weiterhin notwendig. Doch ändert diese Kritik nichts an den Realitäten. Über die territoriale Einschränkung ihrer Hoheit hinaus hat die Regierung in Bagdad in Folge der seit 1990 verhängten umfassenden WWirtschaftssanktionen und der inzwischen von der UNO übernommen Rolle bei der Versorgung der Bevölkerung zahlreiche Kompetenzen verloren, über die die Regierung eines souveränen Staates normalerweise verfügt.

Der UNO-Sicherheitsrat könnte sich bei einem Eingriff in die „inneren Angelegenheiten“ Iraks, wie er in dem untenstehenden Resolutionsentwurf vorgeschlagen wird, auf keinen genau vergleichbaren historischen Präzedenzfall berufen. Für jeden derartigen Eingriff, der seit 1990 – oder auch seit 1945 – erfolgt ist (z. B. in Kambodscha, Jugoslawien oder Indonesien/Osttimor) lagen jeweils spezifisch unterschiedliche Umstände und Ausgangsbedingungen vor. Die Frage ist, ob der vorgeschlagene Eingriff nicht trotz aller Bedenken das bei weitem kleinere Übel ist im Vergleich zu einem Krieg, der die elementaren Menschenrechte zehntausender Iraker – nämlich ihr Recht auf Überleben – negiert; der statt einer Demokratisierung Iraks eher zum Zerfall des Landes, zu Bürgerkrieg oder einer neuen Diktatur führen wird; und der das Völkerrecht und die Institution der UNO dauerhaft beschädigen, wenn nicht gar völlig zerstören würde.