Parsifal und andere Loops

Rodney Graham beherrscht die Kunst, durch Wiederholungen heillose Verwirrung zu stiften: 30 Arbeiten des Performancekünstlers und Multitalents sind auf einer Schau in Düsseldorf zu sehen

von GABRIELE HOFFMANN

Zu den zahlreichen Selbstdarstellungen von Rodney Graham gehört „Halcion Sleep“. Der in Echtzeit aufgenommene Videofilm zeigt das 1949 in Vancouver geborene Multitalent – Performancekünstler, Filmer, Fotograf, Musiker, Schriftsteller – nach der Einnahme einer doppelten Dosis Halcion schlafend auf dem Rücksitz eines Transporters. Während der 26 Minuten Fahrt bei Nacht verführt dieser Film dazu, dem Bewegten mehr Aufmerksamkeit zu schenken als dem Unbewegten. Wir nehmen den Mann im Pyjama auf dem Rücksitz wahr, aber unsere Augen hängen am Lichtspiel der Citylights. „Halcion Sleep“ ist eine von knapp dreißig Arbeiten des Künstlers in einer retrospektiven Schau, die nach ihrer ersten Station in London jetzt in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K21 in Düsseldorf zu sehen ist.

Wer sich im Kreis dreht, tritt auf der Stelle und hat in unserem auf Veränderung und Fortschritt festgelegten Denken keinen Platz. Nur Künstler leisten sich mehr und mehr die Freiheit, mit zyklischen Strukturen und Modellen gegen diese Einbahngradlinigkeit zu opponieren. Rodney Graham bedient sich traditionell linearer Erzählstrukturen, die er mit Formen der Wiederholung und des Einschubs zersetzt.

Im Video „City Self/Country Self“, einem 35-mm-Filmloop von 2000, übernimmt er die Rolle des gespaltenen Selbst in zwei Personen. Ein illustriertes Kinderbuch im Stil der volkstümlichen Bilderbögen des 19. Jahrhunderts liefert ihm die Geschichte vom Bauerntölpel, der allein durch sein ländliches Aussehen einen städtischen Dandy so reizt, dass dieser ihm einen Tritt in den Hintern gibt, während eine Kutsche mit zwei Kutschern in gleicher Kleidung vorbeifährt. Zur Komik doppelter Doppelgänger gesellt sich die Komik der Mechanik im Verhalten, die mit jeder Wiederholung dieses Tritts mehr in den Vordergrund tritt. Gleichzeitig bemerkt man zahlreiche Details, wie den Blick auf die Uhr, die fünf vor zwölf zeigt. Sie haben den Charakter von Zeichen, die jeder Zuschauer aus seiner Sicht des Ganzen deutet. Aber was ist das Ganze? In seinen kurzen Filmerzählungen mit zyklischem Verlauf herrscht heillose Verwirrung: wo ist der Anfang, wo das Ende, was ist Ursache, was Wirkung, welche Logik verwandelt Fortschritt in Rückschritt?

Kunst aus Kunst ist das Produktionsprinzip einer Arbeit, die sich auf eine Anekdote aus dem Leben Richard Wagners bezieht. Als sich während der Proben zur Oper „Parsifal“ herausstellte, dass eine vierminütige Orchesterpassage für die Verwandlungen des Bühnenbilds nicht ausreichte, ließ Wagner seinen Assistenten Engelbert Humperdinck die Lücke füllen. Graham ging der Sache nach und fand heraus, dass dieser die fehlenden Takte nicht selbst komponierte, sondern aus Wagners Noten einen Loop machte. Das inspirierte wiederum Graham dazu, Humperdincks geniale Idee ins Absurde zu steigern. Das Ergebnis ist eine Musik für 14 Lautsprecher – für jedes Orchesterinstrument einer – die ihre Loops mit unterschiedlicher Taktzahl, gemäß den Primzahlen von 3 bis 47, gleichzeitig ertönen lassen. Die von einem Institut für Astrophysik errechnete Spieldauer bis zum nächsten Zusammentreffen aller Instrumente beträgt 39 Milliarden Jahre.

Rodney Graham hat eine Vorliebe für das, was aus der Mode ist. Die Fotografie hat ihn längere Zeit nur in ihrer Urform, als Camera obscura, interessiert. 1992 entsteht das Modell „Millennial Project for an Urban Plaza (with Cappuccino Bar)“: ein stählernes Turmgestell, darauf ein Raum als Camera obscura. Bei der (nicht ausgeführten) Installation sollte in genau berechnetem Abstand ein Baumschößling gepflanzt werden, der zum Millenniumswechsel die Höhe erreicht hätte, um kopfüber auf die hintere Wand des Raumes projiziert zu werden. Die Cappuccino Bar wäre dann der richtige Ort gewesen, um sich Gedanken darüber zu machen, warum wir die indirekten Wege den direkten vorziehen. Die Antwort, dass Graham mit seinen seit 1989 entstandenen Upside-Down-Fotografien von Bäumen immerhin einem größeren Publikum bekannt wurde, wäre da natürlich nur die oberflächlichste.

Bis 25. 5. Der Katalog kostet 20 Euro