Vorkriegszeiten in Bagdad

Die Menschen im Irak reagieren unterschiedlich auf den drohenden US-Angriff: Hochzeiten haben derzeit Hochkonjunktur, manche wollen ihr Schicksal erfahren, andere renovieren ihre Häuser. Und Verträge werden schon mal doppelt ausgestellt

aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY

Man fühlt sich irgendwie mies, wenn man in Bagdad Richtung Flughafen fährt, mit den Privilegien eines deutschen Passes und einem für die meisten Iraker unerschwinglichen Flugticket der Royal Jordanian Airlines ins benachbarte sichere Amman in der Tasche. Da ist das immer wiederkehrende Bild dieser befreundeten irakischen Familie, die sich noch wenige Stunden zuvor am Gartentor versammelt hatte, um ihrem Gast zum Abschied zuzuwinken. Die Mutter Umm Rima (Namen geändert) hat Angst um sich und ihre Kinder. Noch an der Türschwelle bricht sie in Tränen aus. „Wir sehen uns hoffentlich bald wieder, wenn das hier alles vorbei ist“, sagt ihr Mann Abu Rima und drückt mich an sich.

Zuvor hatten wir beim Mittagessen darüber diskutiert, wie man den beiden acht- und elfjährigen Mädchen am schonendsten beibringt, was auf sie zukommt. In den Medien ist von US-amerikanischen Plänen die Rede, laut denen in der ersten Nacht 400 Marschflugkörper abgefeuert und 3.000 Bomben abgeworfen werden. Kann man ein solches Szenario den Kindern erklären? Umm Rima sagt, sie möchte warten, bis sie sich ganz sicher ist, dass es tatsächlich zum Krieg kommen wird.

Ein wenig Erfahrung haben ihre Kinder schon vom letzten Bombardement 1998. Die Kleine hatte damals die Nächte durchgeweint und durchgeschrien. Vielleicht beruhigt es sie, dass die Familie diesmal beschlossen hat, die Zeit der Bombardements im hinteren Zimmer zu verbringen, dem einzigen Raum im Haus ohne Fenster. Einen Keller gibt es nicht.

Dass es Krieg geben wird, steht für die meisten Iraker fest. Ein Freund in Bagdad kommentiert den Aufmarsch von mehreren hunderttausend US-Soldaten in unmittelbarer Nachbarschaft mit den Worten: „Wer sich einmal ein Kondom übergestülpt hat, der wird es dabei nicht belassen.“

Jeder trifft auf seine Weise Kriegsvorbereitungen. Nachts hört man in Bagdad die hupenden Autokorsos mit den Brautpaaren, die noch schnell den Bund fürs Leben schließen. „Die Ausgangssperre während des Krieges hat bei den Flitterwochen einiges für sich“, witzelt ein Taxifahrer im Hochzeitsstau.

Andere testen ihr Schicksal bereits heute. Beispielsweise in der armenischen Madonnenkirche im Zentrum Bagdads. An einem in die Mauer eingelassenen Sarg, in dem die sterblichen Überreste eines im ersten Jahrhundert ermordeten christlichen Kindes liegen sollen, ist eine Kette angebracht. Christen und Muslime strömen gleichermaßen dorthin und lassen sich diese Kette um den Hals legen. Ein Priester zieht anschließend daran. Öffnet sich die zusammengesteckte Kette nicht sofort, so der Volksglauben, dann Gnade dir Gott. Lässt sie sich ohne große Mühen aufziehen, darf der Träger mit Zuversicht in die Zukunft blicken. In den letzten Wochen legten es mehr Menschen als sonst darauf an, ihre Zukunft zu erfahren, erzählt der armenische Pfarrer, bevor er das letzte Salbungsöl aus dem Schrank holt und seinen Besuchern damit ein Kreuz auf die Stirn malt – wie auf dem Sterbebett.

Wieder andere geben sich angesichts des Krieges vollkommen absurden Übersprungshandlungen hin. Beliebt ist das Renovieren und Streichen des Hauses. Besonders mutige Naturen sind sogar dabei, gerade ein neues zu bauen. In der Vortäuschung von Normalität liegt wohl etwas Tröstliches.

Normal ist dieser Tage dagegen nicht der Abschluss von neuen Verträgen. Dabei gibt es immer wieder gleich zwei Versionen: einen Vertrag für den Fall eines Krieges und einen, falls es doch nicht dazu kommt. Im ersten Fall wird die Miete schon jetzt empfindlich erhöht. Auch bereits vor Wochen in Auftrag gegebene Arbeiten werden durch neue „nicht vorhersehbare Zusatzkosten“ auf wundersame Weise verteuert. Jeder versucht eben auf seine Art, vor dem Krieg noch den ein oder anderen Dinar für die heimische Notkasse zusätzlich zu verdienen.

Insgeheim bereitet man sich sogar im berühmten Raschid-Hotel bereits auf die Zeit nach dem Krieg vor. Das Bodenmosaik mit dem Gesicht des ehemaligen US-Präsidenten George Bush Senior, über das bisher alle Hotelbesucher zwangsweise getrampelt sind, ist neuerdings unter einem dicken Teppich verschwunden. Bei meinem harmlosen Versuch, diesen zu lüften, wurde ich von ein paar zufällig herumstehenden Menschen des Personals aufgehalten. Auf die Frage, warum Bush neuerdings von einem Teppich erstickt würde, hatte einer der herbeigeeilten Herren eine pfiffige Antwort: „Es ist Winter, und wir wollen nicht, dass ihm kalt wird.“

Beim Abschied zeigt mir Abu Rima eine durchbohrte Patronenhülse, die er an seinem Schlüsselanhänger befestigt hat. Diese „letzte Patrone“, sagt er sarkastisch, sei für seinen Kopf bestimmt, falls seiner Familie etwas zustoßen sollte. Ich frage, ob er mir das gute Stück nicht schenken wolle. Jetzt baumelt es an meinem Kairoer Haustürschlüssel – leihweise. Bei meiner nächsten Reise nach Bagdad werde ich die Patrone mitnehmen. Erleichtert werde ich sie zurückgeben, wenn Abu Rima dann mit seiner gesamten Familie am Gartentor steht.