zwischen den rillen
: Gospeln für MTV: Donnie und Ben Harper

Die Stimmung des Herrn

Im Dom von Padua sind die Gebeine des Heiligen Antonius aufgebahrt, dazu sein Trinkbecher und sein Mantel. Angeblich wird dort auch seine Zunge in einem Schmuckkästchen verwahrt, weil er ein überzeugender Prediger gewesen sein soll. Im Vorraum der Kirche finden sich endlose Regale mit Souvenirs, damit die Gläubigen etwas nach Hause nehmen können: Heiligenporträts, gestickte Beweinungstischdecken, meterweise religiöse Tapes, die wie Charts in einem Megastore unentwegt durch den Raum schallen. Vielleicht hat Gott den Menschen ja nach seinem Ebenbild geschaffen, damit er seine Vorlieben mit jemandem teilen kann – egal ob Arbeit, Freizeit oder Vergnügen.

Seit Jahrzehnten beschäftigen sich Blues, R’n’B und Soul mit der Frage, wie man sich diese nicht ganz weltliche Beziehung vorzustellen hat. Wie fühlt es sich an, wenn göttliches Prinzip und gelebter Alltag zusammenfallen? Muss man bangen oder darf man hoffen, wenn Gott mit einem, ja: durch einen spricht? Die Suche nach Verbindlichkeit, die in der spirituellen Verbindung liegt, zieht sich vom ersten Krächzer bei Robert Johnson bis zum verschmusten Gegurre eines R. Kelly wie eine transzendente Tonspur hin. Soul ist ein Medium der Liebe, in der das Wort aber nicht Fleisch wird, sondern umgekehrt alles Fleisch sich in den Worten auflöst. Die Inszenierung von topfitter Physis und Sexyness ist nur Beigabe – weil Soul zuallererst Form meint: ein Gefäß, das göttliche Teilhabe alltäglich und damit wiederholbar gestaltet. Wer über das eine singt, singt immer schon über den Einen, das macht beides erträglich.

Dieses Setting hat jede Modernisierung überstanden, trotz knietiefer Basslines und aufgeschnackelter HipHop-Beats. So kommt der in Kentucky geborene Donnie zwar vom Gospel, den er im Chor der Hebrew Pentecostal Church gelernt hat. Gleichwohl bewundert er die eigentümliche Rohheit, mit der sich etwa Al Green heisern durch Balladen schnaubt, er mag urbane Eleganz, die bei Marvin Gaye mitschwingt, oder das lebensbejahend breite Halleluja von Stevie Wonder.

Dennoch klingt „The colored section“ nicht nach einem entstaubten Retro-Verschnitt aus 70s-Soul-Platten. Das mag am Giant-Step-Label liegen, das viel für DJs produziert und jazzig verpuzzelte House-Tracks dem allzu auffälligen Rückgriff auf bibelfeste Soulgrößen vorzieht. Kein Sample findet sich bei Donnie, stattdessen sind seine Texte vollgestopft mit Verweisen für die Baptistengemeinde – ein christlicher stream of conscience, in dem schon mal jauchzend Jesus herbeigerufen wird oder man sich plötzlich auf Wolke neun wiederfindet. Der Wille zur Botschaft ist dabei an ein unermüdliches Signifying gekoppelt, bei dem die Schönheit von Blumen auf der Wiese ins selbe Bild passt wie die trübe Erinnerung an Zeiten der Sklaverei. Nicht heil, aber wenigstens vollständig soll die Welt sein, in der sich Donnie bewegt. Doch vollständig erscheint sie für ihn nur, weil ein anderer sie geschaffen hat, damit er darüber singen kann. Der Glaube ist Zweck, die Produktionsteilung das Mittel, das Ziel hört sich nach Dancefloor an.

Ähnlich betrachtet sich auch Ben Harper als Werkzeug im Diskurs über die Liebe zu Gott und Welt. Da gibt es allerhand zu erzählen, tief wabern in jedem Text die neutestamentarischen Metaphern, werden Schlangen erschlagen und Zeugnisse abgelegt, als gäbe es lauter Gestern und kaum Morgen. Seine Gitarre schreit dazu wie die von Jimi Hendrix, wenn Harper auf ihr nicht gerade Fingerübungen zupft; seine Stimme schaukelt sich von Bob Marley zu Curtis Mayfields Falsett hoch und wieder zurück. Ausschweifend sind jedenfalls die Anspielungen, mit denen Harper auf „Diamonds on the inside“ Brücken zwischen Soul, Blues und World Music oder selbst Mainstream-Rock baut. Darin ist er ein echtes Bastardkind der Vermischungsstrategien von MTV, für das Authentizität zum Material gehört.

Die Beliebigkeit hält sich bei Harpers musikalischem Wanderzirkus in Grenzen. Immer findet der Songwriter einen ungewöhnlichen Sprung auf der Tonleiter, bevor ein Stück wie „Touch from your lust“ in NuMetal abgleitet. Solche Tricks funktionieren auch im Umgang mit traditioneller Südstaaten-Folklore, wenn der Rhythmus zu „When it’s good“ mit einer Box voller Steine geschüttelt wird. Am Ende braucht Harper ohnehin kein Instrument, nur die Stimmen im Chor von Ladysmith Black Mambzo reichen, um sich das eine Ebenbild auszumalen: Einmal will er „Picture of Jesus“ sein. Wahrscheinlich weiß Harper nicht, was dem Heiligen Antonius widerfahren ist. Sonst müsste er in solchen Momenten wohl seine Zunge hüten. HARALD FRICKE

Donnie: „The colored section“ (GiantStep/Groove Attack)Ben Harper: „Diamonds on theinside“ (Virgin)