Jenseits der „Mutter aller Schlachten“

Iraks Militär sieht sich einer überwältigenden Übermacht gegenüber. Welche Optionen hat es im Fall eines Angriffs?

KAIRO taz ■ Stück für Stück zersägt das irakische Militär im Beisein der UN-Waffeninspektoren seine „Standhaftigkeit“. Denn das bedeutet der Begriff „Samud“, mit dem die irakischen Kurzstreckenraketen belegt wurden, die jetzt zerstört werden. Saddam Hussein gibt sich dennoch zuversichtlich: „Ihr seid nun die Samud-Raketen“, erklärte er in einer vom staatlichen Fernsehen aufgezeichneten Ansprache vor hohen Militäroffizieren.

Doch angesichts der fast 300.000 amerikanischen und britischen Soldaten, die mit ihrem Hightech-Gerät rund um den Irak auf ihren Einsatz warten, stellt sich die Frage, wie sich das irakische Regime und sein Militär ernsthaft dieser Militärmaschinerie entgegenstellen wollen, jenseits Saddams großspuriger Rede von der „Mutter aller Schlachten“.

Das irakische Militär kann nur zwei strategische Ziele verfolgen: den US-Vormarsch, wenn er erst einmal begonnen hat, möglichst zu verzögern und den US-Truppen so viel Verluste wie möglich zuzufügen. Wichtig dürfte für das Regime auch sein, gegenüber einer Bevölkerung, deren Loyalität als alles andere als sicher gilt, nicht den Eindruck zu vermitteln, dass es militärisch schnell zusammenbricht.

Zunächst muss das irakische Militär davon ausgehen, dass seine Fähigkeiten bereits zu Beginn eines Krieges enorm einschränkt werden. Die USA beherrschen den Luftraum. Alle irakischen strategischen Kommunikationsfähigkeiten werden schnell zerstört sein. Außerdem wird das US-Militär jede größere Truppenbewegung aufspüren und massiv angreifen, vor allem auf offenem Terrain und in der Wüste. Die neuesten 9.000-Kilo-Mega-Bomben Moab für einen solchen Einsatz hat die US-Luftwaffe erstmals vergangene Woche öffentlichswirksam in Florida getestet.

Daraus folgt, so analysiert die private amerikanische Strategie-Website „stratfor“, dass sich die irakische Armee fest positionieren muss, da ihre Beweglichkeit und Kommunikationsfähigkeit eingeschränkt ist. Der Einsatz chemischer Waffen müsste mindestens als Drohung im Raum stehen, um den amerikanischen Vormarsch zu verlangsamen. Die fähigsten Streitkräfte müssen so stationiert sein, dass sich ihre Effektivität multipliziert, also in städtischem oder bergigem Terrain.

Den Amerikanern gegenüber steht eine schlecht ausgerüstete, nicht gerade hoch motivierte 285.000 Mann starke reguläre irakische Armee. Wichtiger sind die gut trainierten Republikanergarden mit 125.000 Mann und die so genannte Spezial-Republikaner-Garde (SRG), Saddam Husseins Prätorianergarde. Drei Brigaden der SRG sind derzeit die einzigen in Bagdad stationierten Truppen.

Keinerlei Truppen sind im Moment südlich des Euphrats stationiert. Das erste Nadelöhr, das die von Kuwait heranrückenden amerikanischen Truppen zu überqueren hätten, wäre der Euphrat. Laut „stratfor“ wäre es für das Regime von entscheidender Bedeutung, den heranrückenden US-Truppen bei der Überquerung des Flusses Verluste zuzufügen und so das Gefühl der US-Unbesiegbarkeit erstmals zu unterwandern. Hier könnten auch chemische Waffen zum Einsatz kommen, sollten sie tatsächlich existieren. Nur mit frühen amerikanischen Verlusten könnte das Regime seine Spezial-Republikaner-Garden, die in Bagdad unter dem Kommando des Präsidentensohnes Qusai stehen, und die anderen paramilitärischen Einheiten der Baath-Partei bei der Stange halten, damit diese zu einem ernsthaften Häuserkampf bereitstehen. Sollte es zu einem Kampf um Bagdad kommen, so „stratfor“, geht das irakische Regime davon aus, dass die Hauptstadt nicht zu halten ist.

In Bagdad selbst wurden in den letzten zwei Wochen zahlreiche Sandsackpositionen aufgebaut. Entlang dem Tigris sind einige neu ausgehobene Panzergräben sichtbar. Und im Norden der Stadt wurden laut westlicher Augenzeugen, Gräben gezogen und mit Öl gefüllt. Einmal angezündet würde die Rauchentwicklung die Bombardierung aus der Luft schwieriger machen. Vor allem aber würde ein Block entstehen, der den Vormarsch nördlich der Hauptstadt behindern würde.

Denn nördlich Bagdads ist der größte Teil der irakischen Truppen stationiert, speziell bei den Ölfeldern um Kirkuk und bei Tikrit, dem Heimatort Saddam Husseins. Das sind wohl nicht zufällig jene beiden Orte, die ausländische Journalisten in den letzten Wochen nicht mehr besuchen durften. Hierhin, so spektulieren Beobachter, könnte sich das Regime nach dem Fall Bagdads retten wollen. Der Norden als letztes strategisches Hinterland für das Regime gibt auch dem US-Versuch besondere Bedeutung, von der Türkei aus mit 62.000 Soldaten eine weitere Front zu eröffnen.

Die größte Unbekannte ist die Frage, wie sich das schlecht ausgerüstete reguläre Militär und wie sich die Zivilbevölkerung verhalten wird. Es sind vor allem drei Dinge, von denen die Reaktion der Zivilbevölkerung abhängt. Bereits nach dem Golfkrieg 1991 hatten die Amerikaner die schiitische Bevölkerung im Süden zu einem Aufstand motiviert und dann anschließend fallen lassen. Eine blutige Erfahrung, die in das kollektive irakische Gedächtnis eingegraben ist.

Die meisten gegen das Regime eingestellten Iraker werden sich erst bewegen, wenn sie das Gefühl haben, am Ende tatsächlich auf der Siegerseite zu stehen. Viele Iraker haben auch Angst, dass die Alternative zu Saddam Hussein Chaos, ein Ende der irakischen Einheit und ein Bürgerkrieg bedeuten könnte und werden deshalb zögern, gegen das Regime vorzugehen. Und dann gibt es da noch die Hürde jener zu überwinden, die das Regime im Interesse des eigenen Überlebens bis zu ihrem letzten Blutstropfen verteidigen werden, die hohen Parteifunktionäre und Saddams Garden. Für die lässt sich die Mutter aller Schlachten in einem Satz zusammenfassen: Entweder sie oder wir.

KARIM EL-GAWHARY