Palästinenser ändern ihr Grundgesetz

Parlament führt Amt des Ministerpräsidenten ein. Die Bevölkerung fürchtet Hausarrest während des Irakkrieges

RAMALLAH taz ■ Rechtzeitig vor Kriegsbeginn haben die palästinensischen Abgeordneten gestern in dritter Lesung das Grundgesetz ratifiziert. Palästinenserpräsident Jassir Arafat hatte sich zunächst die Ernennung zweier Vizepremierminister vorbehalten sowie das Vetorecht bei der Kabinettsbildung.

Ungeachtet der Schwere der Entscheidung, mit der die Palästinenser einen klaren Schritt in Richtung Demokratie tun, verlief die Debatte in entspannter Atmosphäre. Allerdings musste Parlamentspräsident Abu Ala, den die Entwicklungen offenbar mehr mitnahmen, als er es sich anmerken ließ, aufgrund einer körperlichen Schwäche ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Arafat drängte auf eine schnelle Entscheidung und stimmte schließlich dem ursprünglichen Gesetzentwurf zu. Der alternde Palästinenserchef geriet in den vergangenen Wochen zunehmend unter den Druck des so genannten Quartetts, bestehend aus den USA, der UNO, der EU und Russland. Mit dem moderaten Machmud Abbas, alias Abu Masen, der nun palästinensischer Regierungschef werden soll, liefert Arafat den Wunschkandidaten des Westens für das Amt. Gleichzeitig kann er sich auf dessen Rückendeckung verlassen, sollte die israelische Regierung im Schatten des Krieges einen Landesverweis gegen ihn erwägen, wie es Gerüchte prophezeien.

Rein äußerlich ist in Ramallah vom bevorstehenden Krieg nichts zu spüren. Keine irakischen Flaggen, keine Bilder von Saddam Hussein. Das Stadtzentrum ist, wie bei schönem Wetter üblich, voller Menschen. Vor allem Jugendliche und Mütter mit ihren Kindern vertreiben sich die Zeit an einem der ersten warmen Frühlingstage mit „Window-Shopping“. Einkaufstaschen hält indes kaum einer in der Hand.

„Das Geschäft geht schlecht“, bestätigt Mohammad, Anfang 20, der an der Tür eines Jeansladens steht und vergeblich auf Kundschaft wartet. Auch in den benachbarten Geschäften, wo mit Kleidung und Küchenbedarf gehandelt wird, herrscht gähnende Leere. Einzig auf dem Markt und in den Lebensmittelgeschäften steigt der Umsatz. Die Leute sorgen vor für eventuelle Ausgangssperren während des Krieges. Geröstete Kürbiskerne, Kaffee und Tee sollen helfen, die Zeit totzuschlagen.

Über 40 Tage waren die Palästinenser zum Hausarrest verdammt, als vor zwölf Jahren irakische Scuds Tel Aviv bedrohten. „Wenn der Krieg beginnt, dann werden wir wieder eingesperrt“, fürchtet Saleh, der sich neugierig dem Gespräch vor dem Jeansladen anschließt. Der etwa 40-jährige Mitarbeiter des Versorgungsministeriums hat für sich und seine Familie bereits Nahrungsmittel gehortet. „Die Israelis lassen keine Gelegenheit aus, uns zu malträtieren“, meint er und erinnert an den US-Feldzug gegen die Taliban. Damals hätte die Weltpresse weggeguckt, als die Israelis im Flüchtlingslager von Dschenin „ein Massaker anrichteten“.

Von Sympathie für den irakischen Präsidenten sprechen heute nur noch wenige. Auch die Tatsache, dass Saddam Hussein Geld an die Familien der „Märtyrer“ schickt, die sich im Kampf gegen Israel opferten, überzeugt kaum noch. Erst in der vergangenen Woche ließ er rund 260.000 Euro an Angehörige von Selbstmordattentätern ausgeben. „Wer braucht das Geld mehr, wir oder die Iraker?“, fragt Marwan, der in einem Büro arbeitet, das Internet-Websites entwickelt. „Wir halten durch, aber im Irak sind seit dem letzten Krieg 500.000 Kinder gestorben, weil sie keine Medikamente bekommen konnten.“ SUSANNE KNAUL

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