„Der Krieg soll nicht jede Stunde dominieren“

Wie können Lehrer mit dem Irakkrieg umgehen? Nicht Wissensvermittler spielen, sondern von den Schülern ausgehen

taz: Herr Schirp, der US-Präsident hat dem Irak gestern ein Ultimatum gestellt. Der Krieg steht vor der Tür. Ihr Institut ist die Denkfabrik für Schule und Lehrer in Nordrhein-Westfalen. Wie reagieren Sie darauf?

Heinz Schirp: Unser Ziel ist, den Lehrern zu helfen, den Irakkrieg sachlich und didaktisch vernünftig im Unterricht zur Sprache zu bringen. Wer in dem Konflikt welche Position vertritt, das sollte nicht nicht aus dem Bauch heraus besprochen werden. Wir bieten den Lehrerinnen und Lehrern bereits seit einiger Zeit auf unserem Bildungsserver Materialien dazu an.

Wie bringt man als Lehrer das Thema in den Unterricht? Sollen Mathelehrer die Reichweite von Bomben berechnen?

Nein, das hielte ich für absurd. Die Lehrer sollten zunächst von den Fragen und Wahrnehmungen der Schüler ausgehen. Die kriegen ja aus den Medien viel mit. Nicht alles aber wird auch verstanden. Die Nachrichten lösen bei den Kindern und Jugendlichen häufig auch Ängste aus. Der Krieg schwappt von ganz allein in den Unterricht.

Also über Gefühle reden?

Ja, auch. Aber ich meine nicht, dass der Irak jede Schulstunde dominieren sollte. In welchen Fächern der Konflikt Thema sein sollte, darüber müssen sich die Lehrer untereinander verständigen. Dazu bedarf es natürlich der Verabredung im Lehrerkollegium – vielleicht mehr und intensiver, als das sonst der Fall ist. Wir dürfen den Umgang mit dem Irakkonflikt an der Schule jedenfalls nicht dem Zufall überlassen. Da kann eine ungeheure Dynamik in den Klassen entstehen. Mit der müssen wir umgehen.

Das diplomatische Gerangel um den Irak war schon schwer durchschaubar. Der Angriff aber wird das Vorstellungsvermögen der Schüler überschreiten. Können Lehrer da noch als Wissensvermittler auftreten?

Die Lehrer sind in diesem Moment gar nicht so sehr als Wissensvermittler gefragt. Gefragt sind gute Didaktiker. Für die Schüler muss verstehbar werden, wer welche Interessen vertritt, wer mit welchem Wissen und mit welchem Ziel welche Informationen verbreitet. Und natürlich gehört in den Unterricht auch, welche Strategien es gibt, Konflikte zu lösen.

Selbst Gerhard Schröder sprach gestern im Fernsehen von tausenden unschuldiger Opfer. Wie fange ich als Lehrer konkrete Schülerängste auf?

Das ist die heikelste und schwierigste Frage. Denn es gibt unterschiedliche Arten von Betroffenheit. Wir haben Kinder, die haben Angst um ihre Verwandten in Kurdistan. Es gibt andere, die noch nicht einmal wissen, dass Kurden überhaupt gefährdet sind. Viele jüngere Schüler haben Angst vor Anschlägen. Lehrer sollten daher vermitteln, dass die reale Gefahr für uns in Deutschland gering ist. Der Konflikt sollte keinesfalls stärker dramatisiert werden, als er es schon ist. Deshalb wäre es falsch, den Krieg in allen möglichen Stunden zu behandeln. Die Normalität von Unterricht muss aufrechterhalten bleiben.

Meinen Sie, dass Lehrer ausreichend auf solche Situationen vorbereitet sind?

Wer sich in der Ausbildung zum Beispiel mit Entwicklungstheorien auseinander gesetzt hat, wird mit kindgerechten Zugängen in so einem Moment eher vertraut sein. Ein Mathematiklehrer am Gymnasium tut sich da schwerer.

Wenn Lehrer die Anliegen von Schülern nicht aufnehmen, droht ihnen Autoritätsverlust. Sollen Lehrer das Schülergespräch nur moderieren oder auch ihre eigene Meinung vertreten?

Es ist unverzichtbar, dass Lehrer ihre Meinung sagen. Für die müssen sie natürlich Gründe nennen. Und sie müssen andere Positionen und deren Begründungen ebenfalls verdeutlichen. So wird der Unterricht doch erst spannend: auf der gemeinsamen Suche nach tragfähigen Urteilen und guten Argumenten. Was unser Institut den Lehrern anbietet, sind Hintergründe. Die Verantwortung für ihren eigenen Unterricht wollen wir ihnen aber nicht abnehmen.

INTERVIEW: MATTHIAS BRAUN