Angebote in letzter Minute

Auf der Leipziger Buchmesse wird man vor allem über die Zukunft Frankfurts reden – und auf den Irakkrieg warten. Die Nachfrage nach O-Tönen von Schriftstellern und Intellektuellen dürfte in den nächsten Tagen rapide ansteigen

Das Holiday Inn in Leipzig-Günthersdorf schickte vor einigen Tagen noch rasch ein Fax mit einem „Last Minute Angebot“ zur Buchmesse: Bis nächste Woche Montag kostet ein Einzelzimmer nur 51 Euro die Nacht, inklusive „reichhaltigem Frühstücksbüffet vom Original Trabi“. Wie immer man sich das Frühstück vorzustellen hat: Das sind Hotelpreise, von denen selbst Volker Neumann, der Chef der Frankfurter Buchmesse, nicht zu träumen wagt. Für 51 Euro bekommt man in seiner Stadt gerade mal ein ehemaliges Kinderzimmer von privat vermietet. Frühstück mit Familienanschluss inklusive.

Volker Neumann hat darum vor einigen Wochen einen Vorstoß unternommen, um die von Jahr zu Jahr steigenden Übernachtungskosten und Standmieten in Frankfurt zu senken – und andernfalls mit dem Umzug der Buchmesse nach München gedroht. In München war man begeistert, in Frankfurt dagegen zunächst eingeschnappt und dann kompromissbereit. Gerade als es so aussah, als ob alles beim Alten bleiben würde, ließ Neumann überraschenderweise mitteilen, dass die Verhandlungen über bessere Rahmenbedingungen gescheitert seien und er sich – sorry! – nun wirklich nach Alternativen umsehen müsse.

Das ist der aktuelle Stand: München ist weiterhin vorne dabei, Köln, Berlin und Hannover haben sich ebenfalls ins Gespräch gebracht. Am 15. April soll die Entscheidung fallen.

Also beginnt der Herbst in diesem Jahr bereits im Frühjahr. Volker Neumanns Zeitplan wird wohl dazu führen, dass an den Ständen und während der Partys in Leipzig vor allem über die Zukunft Frankfurts geredet werden wird. Das ist gar nicht mal schlecht. Die wichtigeren Fragen in diesem Zusammenhang betreffen nämlich nicht den Standort. Egal ob die Herbstmesse in den nächsten Jahren in München, Köln oder sonstwo stattfinden wird, die Verantwortlichen werden auf jeden Fall ihre Konzeption mit der strengen Teilung zwischen den so genannten Fachbesuchern und dem einfachen Lesevolk überdenken müssen.

Die Aura des verlegerischen Big Business, von der Frankfurt so lange profitiert hat, wird sich wohl kaum länger aufrechterhalten lassen, da viele deutsche Verlage die Lizenzen für ihre potenziellen Bestseller mittlerweile ohnehin auf der London Book Fair einkaufen. (Und das, obwohl die Hotels in London vermutlich nicht wirklich günstiger sind als die in Frankfurt!) Eine deutsche Herbstmesse wird sich also über kurz oder lang nach anderen Möglichkeiten umsehen müssen, um sich zu profilieren.

Eine wichtige Rolle wird dabei nicht nur die Öffnung für eine breitere Öffentlichkeit spielen, sondern auch die Möglichkeit, auf der Messe tatsächlich Bücher zu verkaufen. In Frankfurt ist das bisher untersagt, in Leipzig gehört es dazu. Insofern kann der Ausflug nach Sachsen in diesem Jahr also als Studienfahrt genutzt werden: Auf der Leipziger Messe, die von den Profis im Literaturbetrieb immer gerne mit nachsichtigem Lächeln als „Publikumsmesse“ abgetan wird, kann man nicht nur über die Perspektiven Frankfurts reden – man kann sie sich in Teilen dort auch schon einmal ansehen.

So viel Zukunft war lange nicht mehr: Nach den trüben Tagen im Herbst vergangenen Jahres, als das Buchhandelssterben und die Medienkrise wie ein dunkler Schatten über Frankfurt lagen, könnte man in Leipzig jetzt das bisschen Aussicht auf Veränderung genießen. Vor allzu ausgelassener Stimmung wird uns in den nächsten Tagen allerdings auch auf der Buchmesse die aktuelle Nachrichtenlage bewahren. Der Beginn des Irakkriegs steht unmittelbar bevor. Es ist eine gruselige Vorstellung – aber wenn Colin Powell und George W. Bush nicht von ihrer Agenda abweichen, werden irgendwann am Freitag oder Samstag plötzlich die Handys der Kulturkorrespondenten in den Messehallen unisono zu klingeln beginnen. Mit jeder Bombe, die in Bagdad einschlägt, steigt unter anderem die Nachfrage nach O-Tönen von Schriftstellern und Intellektuellen.

Viele von ihnen werden zu diesem Zeitpunkt in Leipzig sein, um dort an einem der vielen Leseorte ihre neuen Bücher vorzustellen. Die Gelegenheit ist also günstig – und wir werden wieder einmal beobachten können, wie in bedrohlichen Zeiten ein kurzes Statement mit Leichtigkeit ein paar hundert Seiten bedrucktes Papier ersetzt. KOLJA MENSING