„Stärker als alles bisher“

Der Verlauf der ersten Kriegsnacht muss keinen Bruch mit der erwarteten US-Strategie bedeuten. Am gestrigen Abend begann bereits die Bodenoffensive

von ERIC CHAUVISTRÉ

In der zweiten Nacht der Luftangriffe auf den Irak dürfte die US Air Force erstmals von den von der Bundesregierung gewährten Überflugrechten Gebrauch gemacht haben. Gestern Abend zeigte die BBC, wie auf der US-Basis Fairford in Großbritannien schwere Bomber vom Typ B-52 beladen und für den Einsatz gegen den Irak vorbereitet wurden. Nachdem auch die Türkei ihren Luftraum für US-Flüge geöffnet hat, können die insgamt 14 in Großbritannien stationierten Bomber den Irak in fünf bis sechs Stunden erreichen.

Die Vorbereitungen auf neue Bombardements gingen einher mit dem Beginn der Bodenoffensive. Ein BBC-Reporter, der eine US-Einheit begleitete, berichtete davon, dass diese die irakische Grenze überschritten habe. Ein Korrespondent der französischen Nachrichtenagentur AFP berichtete von heftigem Artilleriefeuer auf irakische Einheiten und über massive Konzentrationen US-amerikanischer und britischer Truppen an der kuwaitisch-irakischen Grenze. Gleichzeitig wurden am gestrigen Abend neue Luftangriffen auf Bagdad und Bombardements im Süden des Irak gemeldet. In der Haupstadt gab es Detonationen und Luftabwehrfeuer.

Begonnen hatten die Luftangriffe in der Nacht zuvor –allerdings in sehr viel geringerem Umfang als von Pentagon-Kreisen zuvor angekündigt. Um 3.50 Uhr mitteleuropäischer Zeit, eine knappe halbe Stunde vor der Ansprache seines Chefs, trat Ari Fleischer in Washington vor die Mikrofone. „Die Eröffnungsphase der Abrüstung des irakischen Regimes hat begonnen“, sagte der Sprecher von Präsident George W. Bush. Der Krieg hatte offiziell begonnen. Die ersten Bomben waren da in Bagdad bereits eingeschlagen. Die ersten Explosionen in Iraks Hauptstadt wurden um 3.33 MEZ gemeldet.

Nach Angaben des US-Militärs wurden am frühen Donnerstagmorgen 40 Tomahawk-Marschflugkörper von US-Schiffen und U-Booten im Persischen Golf und im Roten Meer abgefeuert. Auch Kampfflugzeuge vom Typ 117, gestartet auf dem Stützpunkt Diego Garcia im Indischen Ozean, waren an den Angriffen beteiligt.

Nachdem in der ersten Bombennacht der ganz große Luftangriff ausgeblieben war, drohte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gestern Abend auf einer Pressekonferenz in Washington mit Angriffen, die in Stärke und Umfang größer seien „als alles, was je gesehen wurde“. Schon in den letzten Wochen hatte das Pentagon Szenarien verbreitet, in denen von Luftangriffen mit 3.000 Bomben in den ersten 48 Stunden die Rede war. Die massiven und möglichst sichtbaren Bombardements, so der Plan, sollten irakische Truppen in Angst und Schrecken versetzen und zumindest große Teile der Wehrpflichtigenarmee zur Desertion bewegen. Washingtoner Militäranalysten wie François Boo von dem Washingtoner Think Tank globalsecurity.org erwarten deshalb noch eine deutliche Steigerung der Bombardements.

Neben massiven Bombardements war im Vorfeld des Kriegs auch von gezielten Angriffen auf die Führungszentren von Militär und Regierung im Anfangsstadium die Rede. Diese Angriffe sollten, so die über Wochen aus dem Pentagon gestreuten Informationen, die irakischen Truppen führungslos machen und damit zur Aufgabe ermutigen. Zudem sollte die Führungsriege um Saddam Hussein auf diese Weise nicht mehr in der Lage sein, die Einsatzbefehle für möglicherweise verbliebene Raketen und Chemie- und Biowaffen geben zu können oder zur Zerstörung von Ölquellen zu geben. Letzteres scheint der irakischen Führung dennoch gelungen. Nach Pentagon-Angaben wurden im Süden des Irak drei oder vier Förderanlagen in Brand gesetzt.

Der Versuch, die militärische und politische Führung zu töten oder zumindest von den Truppen abzuschneiden, so spekulierten gestern US-Medien, sei denn auch der Grund, dass der erste Bombenangriff in der ersten Nacht zum Donnerstag zunächst kleiner als erwartet war. Der Präsident habe sich kurzfristig zu einem Angriff auf ausgewählte Gebäude in Bagdad entschlossen, so die Berichte mit Bezug auf Quellen in den US-Streitkräften, weil eine einmalige Gelegenheit nicht verpasst werden sollte. Angeblich lagen den US-Geheimdiensten unerwartet präzise Informationen zu einem Treffen der obersten Führungsriege vor. Die Gelegenheit, den engsten Führungszirkel schon in der Anfangsphase des Krieges zu treffen, habe sich der Präsident nicht entgehen lassen wollen. „Targets of opportunity“, nennt das Pentagon solche Ziele, die zuvor angeblich nicht eingeplant waren.

Auch politisch dürfte ein zunächst klar auf Saddam Hussein gerichteter Angriff dem US-Präsidenten gelegen kommen. Eine Erfolgsmeldung gab das Pentagon im Anschluss nicht heraus. Allerdings sollen sich Beamte des Verteidigungsministeriums nach US-Medienberichten überzeugt zeigen, dass zumindest einige aus dem militärischen Führungszirkel getötet worden seien. Das irakische Fernsehen strahlte eine Ansprache Saddam Husseins aus, wohl um die Funktionsfähigkeit der Führung zu demonstrieren. Da solche Ansprachen grundsätzlich zuvor aufgezeichnet werden, ist die Ausstrahlung an sich kein Beleg dafür, dass die US-Bomben ihr Ziel verfehlt haben.

Bereits im Laufe des Mittwochs hatte die US Air Force ihre Luftangriffe und Aufklärungsflüge im Süden Iraks verstärkt. Laut Berichten sollen dies die heftigsten Bombardements in den so genannten Flugverbotszonen gewesen sein, seit diese 1992 von den USA und Großbritannien einseitig eingerichtet wurden. Schon in den letzten drei Monaten hatte sich die Anzahl der Angriffe in diesen Flugverbotszonen dramatisch erhöht. Seit November gab es mehr als 120 Angriffe in den Zonen, die im Süden bis an die Vororte Bagdads heranreichen, verglichen mit 110 gemeldeten Angriffen in den davor liegenden drei Jahren.

Ebenfalls am Mittwoch waren offenbar Spezialeinheiten der USA und wahrscheinlich ihrer britischen wie australischen Verbündeten aktiv. Offenbar markieren sie Bombenziele, führen Sabotageakte aus und versuchen, verbliebene irakische Scud-Stellungen ausfindig zu machen. Fraglich ist, ob das irakische Militär unter diese Umständen überhaupt noch in der Lage ist, schwere Waffen einzusetzen. Allerdings berichteten kuwaitische, US-amerikanische und britische Quellen von Einschlägen irakischer Raketen in Kuwait.