Ein Erstschlag ohne sichtbaren Erfolg

Ein Bruch mit der erwarteten US-Strategie muss der Verlauf der ersten Kriegsnacht nicht sein

BERLIN taz ■ „Die Eröffnungsphase der Abrüstung des irakischen Regimes hat begonnen.“ Um 3.50 mitteleuropäischer Zeit, eine knappe halbe Stunde vor der Ansprache seines Chefs, trat Präsidentensprecher Ari Fleischer in Washington vor die Mikrofone, der Krieg hatte offiziell begonnen. Die ersten Bomben waren da in Bagdad bereits eingeschlagen. Die ersten Explosionen in Iraks Hauptstadt wurden um 3.33 MEZ gemeldet.

Nach Angaben des US-Militärs wurden am Donnerstagmorgen 40 Tomahawk-Marschflugkörper von US-Schiffen und U-Booten im Persischen Golf und im Roten Meer abgefeuert. Auch Kampfflugzeuge vom Typ 117, gestartet vom Stützpunkt Diego Garcia im Indischen Ozean, waren an den Luftangriffen beteiligt. Über die Zahl der Opfer gab es keine verlässlichen Angaben.

Der ganz große Luftangriff blieb in der ersten Bombennacht offenbar noch aus. In den letzten Wochen hatte das Pentagon Szenarien streuen lasssen, in denen von Luftangriffen mit 3.000 Bomben in den ersten 48 Stunden die Rede war. Die massiven und möglichst sichtbaren Bombardements, so der Plan, sollten irakische Truppen in Angst und Schrecken versetzen und zumindest große Teile der Wehrpflichtigenarmee zur Desertion bewegen. Washingtoner Militäranalysten wie Francois Boo von dem Washingtoner Think Tank Globalsecurity.org erwarten deshalb eine deutliche Steigerung der Bombardements in den nächsten Tagen. Ein Bruch mit der erwarteten Strategie muss der Verlauf der ersten Kriegsnacht jedoch nicht sein. Denn neben massiven Bombardements war im Vorfeld des Kriegs auch von gezielten Angriffen auf die Führungszentren von Militär und Regierung im Anfangsstadium die Rede. Diese Angriffe sollten, so die über Wochen gestreuten Informationen, die irakischen Truppen führungslos machen und damit zur Aufgabe ermutigen. Zudem sollte die Führungsriege um Saddam Hussein auf diese Weise nicht mehr in der Lage sein, die Einsatzbefehle für möglicherweise verbliebene Raketen und Chemie- und Biowaffen geben zu können.

Der Versuch, die militärische und politische Führung zu töten oder zumindest von den Truppen abzuschneiden, so spekulierten gestern US-Medien, sei denn auch der Grund für den zunächst kleiner als erwarteten Angriff in der Nacht zum Donnerstag gewesen. Der Präsident habe sich kurzfristig zu einem Angriff auf ausgewählte Gebäude in Bagdad entschlossen, so die Berichte mit Bezug auf Quellen in den US-Streitkräften, weil eine einmalige Gelegenheit nicht verpasst werden sollte.

Ein „target of opportunity“ nennt das Pentagon solche Ziele, die zuvor angeblich nicht eingeplant waren. Angeblich lagen den US-Geheimdiensten unerwartet präzise Informationen zu einem Treffen der obersten Führungsriege vor. Die Gelegenheit, den engsten Führungszirkel schon in der Anfangsphase des Krieges zu treffen, habe sich der Präsident nicht entgehen lassen wollen.

Auch politisch dürfte ein zunächst klar auf Saddam Hussein gerichteter Angriff dem US-Präsidenten gelegen kommen. Eine Erfolgsmeldung gab das Pentagon im Anschluss nicht heraus. Allerdings sollen sich Beamte des Verteidigungsministeriums nach US-Medienberichten überzeugt zeigen, dass zumindest einige aus dem militärischen Führungszirkel getötet worden seien. Das irakische Fernsehen strahlte eine Ansprache Saddam Husseins aus, wohl um die Funktionsfähigkeit der Führung zu demonstrieren. Da solche Ansprachen grundsätzlich zuvor aufgezeichnet werden, ist die Ausstrahlung an sich kein Beleg dafür, dass die US-Bomben ihr Ziel verfehlt haben.

Bereits im Laufe des Mittwochs hatte die US Air Force ihre Luftangriffe und Aufklärungsflüge im Süden Iraks verstärkt. Laut Berichten sollen dies die heftigsten Bombardements in den Flugverbotszonen gewesen sein, seit diese 1992 von den USA und Großbritannien einseitig eingerichtet wurden. Schon in den letzten drei Monaten hatte sich die Anzahl der Angriffe in den so genannten Flugverbotszonen dramatisch erhöht. Seit November gab es mehr als 120 Angriffe in den Zonen, die im Süden bis an die Vororte Bagdads heranreichen, verglichen mit 110 gemeldeten Angriffen in den davor liegenden drei Jahren.

Ebenfalls am Mittwoch waren offenbar Spezialeinheiten der USA und wahrscheinlich ihrer britischen wie australischen Verbündeten aktiv. Offenbar markieren sie Bombenziele, führen Sabotageakte aus und versuchen, verbliebene irakische Scud-Stellungen ausfindig zu machen. Ob das irakische Militär überhaupt noch in der Lage ist, schwere Waffen wie ballistische Raketen einzusetzen, ist fraglich. Allerdings berichteten kuwaitische, US-amerikanische und britische Quellen von Einschlägen irakischer Raketen im Norden Kuwaits. ERIC CHAUVISTRÉ