Reisen in Zeiten des Krieges

Wenn im türkischen Antalya die Strände leer bleiben und die Costa del Sol zum Kriegsgewinnler wird: Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt Franz Ackermanns Zeichnungen zum „Naherholungsgebiet“

von HARALD FRICKE

Es reist sich schlecht in Kriegszeiten. Seit Monaten schon hat die Tourismusbranche vor dem „A-Day“ gezittert. Dabei folgt auch das erhöhte Angstgefühl der Globalisierung: Obwohl konkret bislang nur im Irak gekämpft wird, mag niemand mehr in die Türkei, aber auch nicht nach Marokko, Tunesien oder Zypern fliegen. Bis zum 30. April bieten die großen Reiseveranstalter TUI, Thomas Cook und LTU kostenlose Umbuchungen an. Der gesamte Nahe Osten gilt als vermintes Gelände.

So viel Krisenbewusstsein war vor einem Jahrzehnt kaum denkbar. Damals konnten blutige Bürgerkriege in Afrika stattfinden, trotzdem boomte gleich um die Ecke das Geschäft mit Safaris durch den Serengeti-Park in Tansania. Man war nicht naiv – die ferne Welt wurde nur aus der vermeintlichen Sicherheit des Westens vermessen.

Heute reagiert die Branche auf die gesteigerte Panik mit Dumpingpreisen und einer „Aldisierung“ des Marktes. Dass der ökonomische Kampf auch ökologische Kollateralschäden mit sich bringt, ist für Marktführer wie Neckermann kein Problem – wenn nicht Izmir, dann eben Costa del Sol: Hauptsache, billig. Da am Ende ohnehin die Nachfrage entscheidet, geht es dieses Jahr nach Bulgarien und Österreich, die meisten bleiben gleich in Deutschland.

Der in Berlin lebende Künstler Franz Ackermann hat die immer komplizierter werdenden Mechanismen der Freizeitindustrie bereits vor zehn Jahren zu seinem Thema gemacht. Kurz nach dem ersten Golfkrieg war er in Thailand, seinerzeit noch ein Paradies für Rucksacktouristen. In billigen Hotelzimmern saß er über Stadtplänen und Postkarten, bevor er seine Eindrücke von der Fremde in „Mental Maps“ einzeichnete. Auf den kleinformatigen Aquarellblättern waren jedoch weder Sehenswürdigkeiten noch Prachtstraßen zu sehen, nur ein Gewirr aus abstrakten Flächen und nervösen Lineaturen: Auf Reisen gibt es eben nichts festzuhalten außer der Flüchtigkeit der Eindrücke, die in der Erinnerung diffuse Spuren hinterlassen.

Mittlerweile zählt der 1963 geborene Maler zu den wenigen deutschen Stars im internationalen Kunstbetrieb. Allein im letzten Jahr hat er in Basel, Chicago, Amsterdam, London, São Paulo und München ausgestellt – darin ist er ganz Globetrotter geblieben: „Wenn ich mich morgen mit jemandem in Bangkok verabreden will, kenne ich mich dort nach bisher 16 Aufenthalten besser aus als in Berlin“, das ist beim Besuch im Atelier sein Resümee aus zehn Jahren on the road.

Seine skizzenhaften Erkundungen im Ungefähren wurden indes zum schillernden Beleg der allgemeinen Rastlosigkeit erklärt, überhaupt war Ende der Neunzigerjahre viel vom modernen Nomaden die Rede, der mit Laptop und Handy ausgestattet durch die Welt zieht. Plötzlich galt es als schick, wenn sich Kuratoren wie Peter Weibel und Hans Ulrich Obrist als „Migrateurs“ definierten, die unentwegt in Bewegung waren wie die Kapitalströme auch.

Dass man dabei am Ende nur als ein Hamster im Laufrad der Ökonomie unterwegs war, ist für Ackermann eine Erfahrung, die sich in seiner Arbeit spiegelt: „Die Idee vom Büro am Strand, das hat nie funktioniert. Das Einzige, was ich bei alledem gelernt habe, ist die Tatsache, dass man ständig handlungsbereit sein muss. Dann wird eben das Hotel zum Atelier, dann wird die Ablage neben dem Bett zum Zeichentisch. Im Grunde bin ich vor allem eins – nicht zu Hause, und das überall auf der Welt.“

Dieses Unbehagen hat sich bei Ackermann bis in die Suche nach Sujets ausgewirkt. An Stelle der früher noch romantischen Vorstellung, auf Reisen vom Labyrinth des Alltags befreit zu sein und wenigstens für den Moment Urlaub vom Ich zu haben, nimmt er jetzt viel mehr die Veränderungen wahr, die sich aus der angespannten Weltlage ergeben: „Seit dem 11. September spricht kein Mensch noch von der Lust an ferner Exotik, Wellness direkt vor Ort ist gefragt.“ Gleichwohl ist auch bei ihm die Sehnsucht verschwunden, im Anderen das fehlende Eigene zu entdecken, da sich „die Parks und Shopping-Malls von Hongkong bis Südafrika immer weiter einander angleichen“. Dafür aber braucht es, so Ackermann, keine spezifische Ikonografie, die irgendwelche Eigenheiten hervorholt, denn „in der Angleichung ist alles dasselbe abstrakte Material“.

Diese Verschiebung ist Grundlage seiner neuen Arbeiten, die unter dem Titel „Naherholungsgebiet“ im Kunstmuseum Wolfsburg gezeigt werden. Die freie Zeit der freien Bürger findet hier ihr Pendant in aggressiv aufgewühlten Tuschlandschaften, in denen sich Helikopter und Hochhäuser vom Rand her wie ein Kragen um eine weiße Leerstelle auf dem Papier legen. Dann wieder drängt sich alles in der Mitte zusammen, bildet monströse Knoten, aus denen einzelne Farbfäden lappen, als wäre der imaginäre Ort der Begierde ein herausgetrenntes Herz. Der Konflikt zwischen Zentrum und Peripherie rückt näher, das ist die Kartografie der Krise.

Bis 29. 6., Kunstmuseum Wolfsburg