„Hört, wie sie auf die Flugzeuge schießen“

Wie eine Familie in Bagdad die amerikanischen Bombenangriffe erlebt: „Es war wie bei einem Erdbeben“

taz-Korrespondent Karim El-Gawhary telefonierte kurz nach den massiven Luftangriffen der US-Kampagne „Shock And Awe“ auf Bagdad mit einer befreundeten Familie in der irakischen Hauptstadt. Sie wohnen in einem Bungalow nahe dem Zentrum – und nahe einer Geheimdienstzentrale, einem möglichen Ziel von Bombenabwürfen. Die Familie zählt zur Mittelklasse, der 50-jährige Familienvater ist Publizist. Die Mutter ist Anfang vierzig, die beiden Töchter sind 10 und 8 Jahre alt. Wir dokumentieren, was sie über die Situation in Bagdad gesagt haben.

„Es war die Hölle, wirklich die Hölle. Diesmal haben nicht nur die Fenster geklirrt, wie bei den allerersten Angriffen zu Beginn des Krieges. Die Wände haben gewackelt wie bei einem Erdbeben, als eine Bombe in der Nähe des Hauses einschlug. Unsere zehnjährige Tochter begann vor Angst zu schreien. Wir haben versucht, die Kinder zu beruhigen: ‚Habt keine Angst, unsere Soldaten beschützen uns. Hört, wie sie auf die Flugzeuge schießen‘, sagte ihnen meine Frau immer wieder.“

Die Mutter kommt ans Telefon und sagt: „Ich weiß natürlich, dass das totaler Quatsch ist, aber was soll ich ihnen in solchen Momenten auch erklären. Wir haben das Radio lauter gedreht und angefangen zu singen und zu tanzen, um die Kinder abzulenken. Später haben wir dann ein Brettspiel aus dem Kinderzimmer geholt und so lange gespielt, bis sich die beiden Mädchen sich wieder beruhigt haben. Jetzt scheinen sie wieder in Ordnung zu sein.“ Jetzt spricht das ältere Mädchen und probiert ihr neu erworbenes Schulenglisch aus: „How are you, I am fine.“ Dann wieder der Vater: „Wir hörten den arabischen Dienst der BBC. Kurz nach dem Angriff lief dort eine Pressekonferenz mit US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Der hat uns erklärt, was draußen vor sich geht. Den Fernseher, der ohnehin nur das staatliche Fernsehprogramm bringt, haben wir lieber ausgeschaltet, als das Bild zu vibrieren begann. Ich habe so viel von diesen amerikanischen E-Bomben gehört, die alle eingesteckten Geräte zerstören sollen. Während des ganzen Bombardements haben wir uns im hinteren Zimmer des Hauses aufgehalten, wo es nur ein kleines Fenster gibt. Zuvor haben wir aus dem Garten vor dem Haus Erde und Sand in Tüten geschaufelt und die dann vor dem Fenster aufgestapelt. Gerade eben haben wir mit unseren Verwandten telefoniert. Eine Bombe ist nur 500 Meter von dem Haus meiner Mutter explodiert. Gott sei Dank ist bei ihr alles in Ordnung. Noch am Morgen vor dem großen Angriff war ich eigentlich recht zuversichtlich. Alle Explosionen bis dahin waren weit weg vom Haus gewesen. Es war eigentlich ein ganz normaler Morgen. Mit einem Freund, der ein Auto hat, sind wir ein bisschen durch die Stadt gefahren, um die Schäden der vergangenen Nacht zu begutachten. Das haben viele in Bagdad gemacht. Wir haben da wirklich das Gefühl gehabt, dass die Amerikaner nur auf die Regierungsgebäude abzielen, um unter Beweis zu stellen, dass dies nur ein Krieg zwischen den USA und dem Regime ist. Aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Jetzt hat der Krieg wirklich angefangen, und selbst die Hauskatzen haben sich versteckt und sind nicht mehr aufzufinden.“