„Chance auf Macht“

„Die Iraker werden einen nationalen Widerstand gegen die Besatzer etablieren“

Interview ULF KALKREUTH

taz: Herr al-Rekabi, warum wollten die USA diesen Krieg gegen den Irak?

Abdul al-Rekabi: Von diesem Krieg erhoffen sich die Amerikaner einiges: Der wichtigste Punkt ist das Erdöl, außerdem hat der Irak im gesamten Nahen Osten eine strategisch extrem wichtige Position. Mit dem Zugriff auf das irakische Erdöl wollen die Amerikaner den Zugriff auf die Weltökonomie haben und damit auch auf das für sie wirtschaftlich besonders gefährliche Europa.

Die offiziellen Verlautbarungen der US-Administration klingen etwas anders: Es gehe ausschließlich um die Abrüstung des Irak und darum, Saddam Husseins Diktatur durch eine Demokratie zu ersetzen.

Die Amerikaner haben seit geraumer Zeit schon Leute im Irak, die für sie arbeiten. Das sind Iraker, die in der irakischen Armee, im Geheimdienst und auch im unmittelbaren Umfeld von Saddam Hussein platziert sind. Das sollen die Leute sein, die nach Saddams Sturz an entscheidenden Positionen dieses Land als Iraker führen, aber doch an der langen Leine der US-Regierung laufen. Die anderen Oppositionskräfte, die gegen Saddam Hussein gekämpft haben, werden gegen diese irakische Elite von US-Gnaden keine Chance auf Machtbeteiligung haben. Das heißt, die USA haben längst auch die wirkliche irakische Opposition zu ihrem Gegner erklärt. Die neue Regierung nach Saddam wird also eine US-Militärregierung sein, unterstützt von irakischen Kräften, die die USA ausgewählt haben.

Mit solchen Ideen dürfte die irakische Opposition – bisher von den USA massiv unterstützt – nicht einverstanden sein. Was will etwa der Irakische Nationalkongress (INC) machen, dessen Präsident Ahmed Schalabi sich von der US-Administration teure Büros in London bezahlen lässt und der hofft, neuer Präsident des Irak zu werden?

Ahmed Schalabi ist für die USA keine ernst zu nehmende Figur. Er hat doch bis vor einigen Jahren mit Politik überhaupt nichts zu tun gehabt. Das ist ein Bankier, der plötzlich auftauchte und sich von den USA hofieren ließ. Niemand kennt ihn im Irak, er hat dort keine politische Basis. [Ahmed Dschalabi verließ 1958, mit 13 Jahren, den Irak; d. Red.) Er wird von den USA garantiert keinen Posten nach Saddam bekommen.

Das ist doch aber das Problem der gesamten irakischen Opposition: sie mussten alle vor 10, 20, 30 Jahren Irak verlassen, waren seitdem nicht mehr dort. Sie kennen die Bedingungen nur vom Hörensagen, und man kennt sie im Irak nicht.

Das stimmt nicht. Es gibt irakische Oppositionsparteien außerhalb des Landes, etwa die schiitischen – und es gibt andere Oppositionsparteien, die sind im Land, zum Beispiel al-Daawa, eine sehr einflussreiche Kraft. Und die schiitischen Oppositionsgruppen, die jetzt noch außerhalb des Landes sind, könnten nach Saddam sehr schnell eine wichtige Kraft werden.

Das hört sich nach einem Machtkampf zwischen den amerikanischen Truppen und der irakischen Opposition an.

Ohne Zweifel. Ein Teil dieser Opposition wird gegen die Amerikaner antreten, die werden sich gegen die US-Besatzung formieren. Die werden eine Art nationalen Widerstand gegen die Amerikaner etablieren – das kann ich Ihnen versichern. Und Sie müssen wissen, die irakische Gesellschaft ist eine absolut hochgerüstete Gesellschaft. Hier sind privat mehr Waffen im Umlauf, als Leute in diesem Land leben.

Das heißt also, erst wird es den „Befreiungskrieg“ der Amerikaner gegen Saddam geben und dann den Bürgerkrieg der Iraker gegen die Amerikaner?

Ja. Aber diesen Widerstand wird es nicht von Anfang an geben. Es wird einige Zeit brauchen.

Ist den Amerikanern das bewusst und sie ignorieren es, oder haben sie keine Ahnung, was da auf sie zukommt?

Ich glaube, den Amerikanern ist dieses Problem erst vor kurzem klar geworden. Am Anfang dachten sie wohl, dass sie mit der irakischen Opposition keine Probleme haben würden. Aber dann mussten sie feststellen, dass die durchaus eigene Pläne und Ambitionen hatten und dass sie mit solchen Leuten auf keinen Fall eine ihnen genehme Regierung im Irak aufbauen können. Sie merkten, dass die Sache ihnen außer Kontrolle zu geraten drohte. Dann aber war es zu spät für eine Umkehr – der Krieg war längst beschlossene Sache.

Dann kam noch ein anderes Problem hinzu: Die Amerikaner haben nicht im Entferntesten mit diesem Widerspruch in Europa, Russland und China gerechnet. Sie dachten, sie bekommen dieselbe Zustimmung wie für den letzten Golfkrieg 1991.

Wie hätte denn eine politische Lösung des Saddam-Problems aussehen können?

Ein weltweiter politischer Druck auf Saddam hätte ihn aus dem Amt drängen können.

Sie meinen also, dass jemand, der von 250.000 Soldaten vor seiner Haustür unbeeindruckt ist, durch politischen Druck zum Rücktritt zu bewegen ist?

Entschuldigen Sie, worüber reden wir dann hier? Wenn es nicht möglich ist, dass die Weltgemeinschaft geschlossen einen politischen Willen durchsetzt, hieße dies ja, dass die Amerikaner mit ihrem Krieg Recht haben. Dieser politische Druck hätte Saddam aus dem Amt gebracht, dann wäre der Weg frei gewesen für eine Übergangsregierung mit internationaler Unterstützung, und ein Jahr später hätte man Wahlen abhalten können.

Herr al-Rekabi, über Sie liest man, dass Sie im Gespräch sind für das Amt des Ministerpräsidenten einer Übergangsregierung nach Saddam. Wie kommen Sie zu dieser Ehre?

Ich gehöre zu einer Gruppe von Leuten, die seit Jahren gegen eine militärische Lösung des „Irakproblems“ öffentlich eintreten, wir sind für politische Reformen. Das habe ich in vielen Artikeln geschrieben. Im Sommer 2002 war Tarik Asis (Husseins Stellvertreter; d. Red.) in Beirut. Dort hat er sich auf einer Pressekonferenz über die irakischen Oppositionsgruppen geäußert. Er hat unterschieden zwischen jenen, die seiner Meinung gemeinsam mit den USA nur ein Ziel haben: die Vernichtung des Irak, und jenen, die ihr Land lieben, die keinen Krieg wollen, aber anderer Meinung sind als die jetzige Regierung. Für letztere Gruppe hat Asis stellvertretend meinen Namen ins Spiel gebracht.

Asis fuhr zurück in den Irak, und sie haben ein paar Tage später eine ganze Reihe von politischen Gefangenen freigelassen und ein paar Gesetze geändert. Die irakische Regierung hat mich zu Gesprächen in den Irak eingeladen – ich bin da allerdings nicht hingefahren. Man hatte mich schon einige Wochen vorher in Amman bei Gesprächen wissen lassen, dass sie gern mit mir im Irak reden wollen. Ihre Idee war, dass ich in eine Regierung aufgenommen werde, ihr eventuell sogar als Ministerpräsident vorstehe, der gemäßigte Oppositionskräfte angehören. Einer Regierung unter Saddam als Präsident natürlich. Sie wollten von mir wissen, was ich von dieser Idee halte. Ich bin dieser Frage ausgewichen. Das war das Ende der Gespräche. Ich glaube, dies war Saddams letzter Versuch, sich irgendwie zu retten. Und ich kann mir vorstellen, dass er vorhat, mich noch mal auf diesen Plan anzusprechen – wenn er noch dazu kommt.

Übersetzung: Mohammed Basel Othman. Der Abdruck des Interviews erfolgt mit freundlicher Genehmigung des ARD-„Kulturreport“ Leipzig