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: Ein arabisches TV-Tagebuch: Der Schriftsteller Sélim Nassib über den Irakkrieg aus der Perspektive von al-Dschasira

Menschenlandschaften in Bewegung

Mit einem schwarzen Turban auf dem Kopf (als Zeichen, dass er ein Abkömmling des Propheten ist) erschien der hohe schiitische Würdenträger, der Iraker Baker al-Hakim auf dem Bildschirm und sagt ruhig: „Das ist kein Befreiungskrieg, wie es die Amerikaner und die Briten vorgeben, sondern ein Aggressionskrieg. Obwohl wir die entschiedensten Gegner des irakischen Regimes sind, wollen wir mit diesem Krieg nichts zu tun haben.“

Der Hafen von Umm al-Kasr widersetzt sich noch immer, 36 Stunden nach der Ankündigung seines Falls durch die amerikanische Koalition. Die Schlacht ist in vollem Gange, am Euphrat, in Nasiriah und Najaf, einem weiteren Zentrum der Schiiten. Die Bilder von dutzenden bei einer Bombardierung getöteten Zivilisten in Basra, sie werden ständig wiederholt. Die verrückte Wut der Demonstranten in Khartum, die seltsamerweise Äste schwenken, führt zu einem Zusammenstoß mit den sudanesischen Ordnungskräften und zum Tod eines Demonstranten, der von einer Kugel in den Kopf getroffen wurde.

Wut auch bei den Studenten in Kairo, die sich Straßenschlachten mit der Polizei liefern und öffentlich die Passivität der arabischen Regimes anprangern, ihre Käuflichkeit und ihren Verrat.

Ein ägyptischer Kommentator behauptet, dass die Iraker dabei seien, die Palästinenser und die arabischen Völker zu rächen, die seit langem der Unterdrückung ausgesetzt sind. Dann fügt er hinzu: „Wir sind eine Nation, die für den Dschihad gemacht ist. Und die arabischen Führer dafür, auf ihren Stühlen sitzen zu bleiben.“

Die irakischen Führer vervielfachen derweil ihre Auftritte, um den „heroischen Widerstand des Landes“ zu preisen und deutlich zu machen, dass das irakische Volk dabei sei, „den Aggressoren eine Lektion zu erteilen“. Nichts in den Kommentaren von al-Dschasira lässt auf eine besondere Sympathie für Saddam Hussein und sein Regime schließen. Aber die irrealen Bilder der sandfarbenen Panzer, die in großer Schnelligkeit durch die Wüste bewegt werden, scheinen kompakte, lebendige Mengen von Arabern, Muslimen, Amerikanern und Europäern zu gebären, die gegen den Krieg protestieren.

Mit feinen Strichen zeichnet die Berichterstattung des Informationskanals eine recht genaue Landschaft: Die Offensive ist weit davon entfernt, ein militärischer Spaziergang zu sein. Die Strategie des Schreckens scheint nicht wirklich zu fruchten. Die Aggression, die von der internationalen Gemeinschaft abgelehnt wird, trifft auf einen unvorhergesehenen Widerstand. Und auf die arabischen Regimes wird mit dem Finger gezeigt.

Al-Dschasira hält seinen Zuschauern einen Spiegel vor – ein Bild, das zusammengesetzt ist aus den Gefühlen, die sie bewegen. Vielleicht wird dieses Panorama nicht sehr lange Zeit Bestand haben, es ist von Natur aus in Bewegung. Aber die Bühne für die kommende Auseinandersetzung ist bereits in den Köpfen: Die erste Besetzung jener Stadt durch amerikanische und britische Truppen, die jahrhundertelang als Hauptstadt des „arabischen Imperiums“ und als das „pulsierende Herz“ des Arabismus galt.

Der libanesische Schriftsteller und Journalist Sélim Nassib lebt und arbeitet in Paris. In seiner Kolumne für die taz vergleicht er die Kriegsberichterstattung des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira mit der Darstellung auf anderen Sendern