Nur passende Bilder erwünscht

Der schwärzeste Tag für die Invasionstruppen hat den Medienfokus in den USA verschoben: von überlegener Militärtechnik zu brutalen Kriegsfolgen

aus Washington MICHAEL STRECK

Es war ein Schock. Die Aufnahmen von getöteten, verletzten und gefangenen US-Soldaten, die, vom irakischen Fernsehen gezeigt, auch im US-Fernsehen ausgestrahlt wurden, entsetzten die Nation. Sichtlich beunruhigt forderten Präsident Bush und Verteidigungsminister Rumsfeld den Irak auf, die Gefangenen human und nach der Genfer Konvention zu behandeln (siehe Kasten „Genfer Konvention“).

Der US-Fernsehsender CBS zeigte die Bilder während eines Interviews mit Rumsfeld, der zuvor lediglich erklärt hatte, dass bis zu zehn US-Soldaten vermisst würden. Der sonst lässige und rücksichtslose Pentagon-Chef gab sich an diesem Sonntag angespannt und einsilbig. Anfangs stimmte er die Amerikaner bei seinem ersten morgendlichen TV-Auftritt darauf ein, dass US-Soldaten möglicherweise gefangen genommen wurden. Dann wollte sich Rumsfeld nicht zur Echtheit der Aufnahmen äußern und nannte sie „einen offensichtlichen Teil der irakischen Propaganda“. Militärsprecher Stewart Upton bezeichnete sie sogar als „weitere Lügen der Iraker“. Erst später in einem CNN-Interview sagte Rumsfeld jedoch, es sei „unglücklich“, dass die Bilder im US-Fernsehen zu sehen waren. Man solle doch bitte so lange warten, bis die Familienangehörigen benachrichtigt seien (s. Kasten „aus dem Pentagon“).

Dieser bislang schwärzeste Tag für die Invasionstruppen veränderte plötzlich den Medienfokus in den USA. Widmeten sich vor allem die TV-Stationen bislang vornehmlich den Bombenangriffen, der überlegenen Militärtechnik und dem scheinbar mühelosen Vormarsch auf Bagdad, so bemühten sich sich nun um das „andere Gesicht“ des Krieges. Die Regeln der Genfer Konvention, die Behandlung von Kriegsgefangenen, die Versorgung von Verwundeten und die Reaktionen betroffener Angehöriger rückten in den Vordergrund. Im Kabelkanal MSNBC wurden ehemalige Kriegsgefangene, die den Irakern im Golfkrieg 1991 in die Hände gefallen waren, zu ihren Erfahrungen befragt. „Man kann es überleben“, sagte einer. Die Washington Post zeigte Fotos der in Tränen aufgelösten Mutter eines der gefangenen US-Soldaten im Irak.

Dass die verstörenden Bilder die Unterstützung der US-Bevölkerung für den Krieg beeinträchtigen könnten, war unverkennbar die Sorge im Pentagon und im Weißen Haus. Die Regierung forderte daher die Fernsehanstalten auf, sie nicht noch einmal auszustrahlen. CNN sowie die Print- und Onlineausgaben von US-Zeitungen haben sich bislang an diese Mahnung gehalten. Erinnerungen an Aufnahmen vom Einsatz in Somalia werden wach. Verstümmelte Leichen von US-Soldaten wurden damals von einer aufgebrachten Menge durch die Straßen Mogadischus gezogen, die Bilder lösten in den USA Bestürzung aus. Die Unterstützung für den Militäreinsatz brach ein, und Präsident Clinton beendete die Intervention.

Dass die Amerikaner nun lautstark die Einhaltung der Genfer Konvention fordern, verwundert und erfreut zugleich. Ihre Empörung wirkt aufgesetzt, schließlich präsentierte man in den vergangenen Tagen selbst, wenn auch weitaus weniger erniedrigend, irakische Gefangene im US-Fernsehen. Und bei der Behandlung von Kriegsgefangenen misst Washington offenbar mit zweierlei Maß. Denn für die auf dem US-Militärstützpunkt Guantánamo auf Kuba internierten Terrorverdächtigen und Talibankämpfer gilt die Gefangenenkonvention nicht. Für sie haben Bush und Rumsfeld stattdessen die Kategorie „ungesetzliche Kämpfer“ erfunden, die sie zu tatsächlich Rechtlosen degradiert.

Keine Frage: Das Zeigen der Bilder der US-Gefangenen ist völkerrechtswidrig, und die Amerikaner haben allen Grund, sich zu beschweren. Doch es macht sie angreifbar, denn ihre Doppelzüngigkeit tritt deutlich zutage. Menschenrechtsgruppen können nun darauf verweisen und möglicherweise stärkeren Druck auf die Bush-Regierung ausüben, den Häftlingen in Guantánamo endlich die gleichen Rechte zuteil werden zu lassen, die sie vom Kriegsgegner erbitten.